In treuen Händen – Perspektiven Sozialer Zukunft
Zu Beginn dieses Jahres mussten wir, die Kongress-Vorbereitungsgruppe, leider pandemiebedingt unser lange geplantes und groß angelegtes Kongressfestival "Soziale Zukunft 2021" endgültig absagen. Es hätte am vergangenen Wochenende (17. bis 20. Juni) stattgefunden. Die gesellschaftlichen Fragestellungen sind jedoch aktueller und drängender denn je! Daher freut es uns besonders, dass die Zeitschrift "Info3" unser Anliegen in der aktuellen Ausgabe mit einem Schwerpunktthema aufgegriffen hat, woraus mehrere Beiträge nun frei zugänglich sind.
IN TREUEN HÄNDEN
Rudolf Steiner formulierte ein „Soziales Hauptgesetz“, das uns Menschen ein tiefes Miteinander zutraut. Wenn man genauer hinschaut wird deutlich: Das Soziale ist noch viel mehr, es ist die Grundlage für Wirtschaft, Ökologie und womöglich sogar für Erkenntnis.
VON ALEXANDER CAPISTRAN
„In der Hölle steht ein gutes Mahl für alle bereit und es gibt zwei Meter lange Löffel. In der Hölle schaffen sie es nicht, an das Essen heranzukommen. Sie kriegen es nicht in den Mund, weil die Löffel zu lang sind und verhungern. Im Himmel steht die gleiche Suppe, genauso angerichtet mit den langen Löffeln, aber im Himmel haben sie gelernt, sich gegenseitig zu füttern, das heißt jeder gibt dem andern. Das ist, was Steiner in seinem sozialen Hauptgesetz sagt“, erzählt Hermann Pohlmann, Gründer von Teikei Coffee. Steiner selbst wählte verschiedene Formulierungen seines Hauptgesetzes, von denen ich eine weniger bekannte hier zitieren möchte: Er verrät, „was das Urgeheimnis ist aller menschlichen Gesellschaft, dass dasjenige, was wir selber innerhalb der Gesellschaft tun, nicht Früchte trägt für uns selber, sondern für die anderen, und dass alle Früchte für uns selbst von den anderen kommen.“ (GA 266c, S. 427f)
Diese elementare Ausrichtung auf den Anderen ist aber nicht nur auf Menschen beschränkt, sondern auch auf alles Andere. In einer seiner „esoterischen Stunden“ führte er aus: „In einem sozialen Zusammenleben muss der Antrieb zur Arbeit niemals in der eigenen Persönlichkeit des Menschen liegen, sondern einzig und allein in der Hingabe für das Ganze“ (aus der esoterischen Stunde vom 3. März 1906). Vor allem geht es darum, dass man die Dinge, die man tut, nicht für sich selber tut, sondern für die anderen beziehungsweise die Ganzheit. Deswegen wurde dieses Prinzip auch als „altruistisches Gesetz“ bezeichnet. Wer Steiner kennt, weiß natürlich, dass diese Selbstlosigkeit für ihn nur auf einem entwickelten Ich fußen kann und hier eine Selbstvergessenheit oder frömmelnde Selbstaufopferung gemeint ist. Nimmt man die individuelle Freiheit und den Bezug auf das Ganze hinzu, könnte man das soziale Hauptgesetz auch wie folgt neu fassen: „Aus eigener Freiheit und Tatkraft für den Anderen, die Umwelt und das Ganze tätig sein und von diesen empfangen, was ich zum Leben brauche“...
„Mich fasziniert das Freiheitspotenzial“
Claudine Nierth engagiert sich seit Jahren für mehr direkte Demokratie im politischen Leben. Jetzt macht sie sich für das Instrument geloster Bürgerräte stark. Wir sprachen mit ihr über neue Formen der politischen Willensbildung und die Bedeutung der Kunst für das Soziale.
INTERVIEW VON JULIA WENZEL
Seit vielen Jahren engagieren Sie sich mit dem Verein Mehr Demokratie und gestalten dort intensiv mit. Was ist Ihre Vision, Claudine Nierth?
Demokratie ist das Versprechen der größtmöglichen Zufriedenheit aller Menschen. Solange die Menschen noch nicht zufrieden sind, wird sich die Demokratie weiterentwickeln müssen. Mehr Demokratie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Demokratie entlang diesem Anspruch weiterzuentwickeln und Instrumente ins Spiel zu bringen, die sich dafür eignen.
Vor allem wollen Sie mehr direkte Demokratie in die Politik bringen. Was soll dadurch für unsere gesellschaftliche Zukunft möglich werden?
Je komplexer die Probleme sind, desto mehr Menschen müssen an den Lösungsfindungen und Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Die Erfahrungen zeigen: Umso vielfältiger die Menschen sind, die beteiligt werden, desto besser werden die Ergebnisse. Demokratische Beteiligung ermöglicht es uns, in die Verantwortung zu gehen. Sie macht uns zu verantwortlichen Akteuren.
Wie zum Beispiel Bürgerräte – ein noch recht neues Instrument, an dem Sie arbeiten. Dabei wird aus einem Querschnitt der Bevölkerung ein Gremium ausgelost, das sich mit einer bestimmten gesellschaftspolitischen Fragestellung beschäftigt. Die entstandenen Lösungsvorschläge werden dann an die Politik herangetragen, zum Beispiel über Ihren Schirmherrn, Wolfgang Schäuble. Wie funktioniert das genau? ...