Spiritualität und Künstliche Intelligenz
Gibt es eine Auferstehung aus dem Tod des mechanisierten Denkens? Beitrag aus der 2. Ausgabe 2024 der Zeitschrift "DieDrei".
Wir können denken, wir wissen auch von dieser Fähigkeit, wir wissen aber nicht, wie wir denken. Wir können sprechen, von dieser Fähigkeit wissen wir auch, aber hier wissen wir ebenfalls nicht, wie wir das machen. Der heutige Erwachsene kann auf sein Bewusstsein reflektieren, aber nur auf dessen Vergangenheit. Wenn ich etwas verstehe, wird mir der Gedanke bewusst, den Prozess des Verstehens selbst erlebe ich nicht.
Wenn ich versuche, über Fragen wie: »Wie kommt dieser Satz in mein Bewusstsein?« oder »Was hält die Wörter dieses Satzes zusammen?« intensiv nachzudenken, dann kann ich zu folgenden Erfahrungen kommen:[1] Die Wörter kommen aus der Bedeutung des Satzes in mein Bewusstsein; sie ist es, welche diese auswählt und zusammenhält. Die Bedeutung muss einerseits mit den Wörtern verwandt sein, sie muss auch Wortcharakter haben, andererseits muss sie andersartiger, lebendiger, flüssiger sein als die einzelnen Wörter. Sie verhält sich zu den Wörtern wie das Wasser eines Flusses zu den Eisblöcken, die sich aus ihm bilden. Wenn ein neuer Satz in mir geboren wird, oder wenn ich einen (nicht trivialen) Satz von jemand anderem verstehe, dann bewegt sich meine Aufmerksamkeit in diesem lebendigen, flüssigen Element – nur merke ich das nicht, weil ich nicht wachbewusst dabei bin. Der Sinn des Satzes wird mir erst bewusst, wenn er sich schon in Wörter geformt hat – er muss aber schon vorher dagewesen sein. Mein Denken wacht immer nur für seine Vergangenheit auf, seine Gegenwart verschlafe ich. Ich kann das aber bemerken, und dann kann ich auch feststellen, dass man eine Vergangenheit nur aus einer Gegenwart sehen kann. Das Bemerken dieser Umstände wird allerdings selbst sogleich zur Vergangenheit. Das ist das Drama der Bewusstseinslage des modernen Menschen.
Rudolf Steiner nennt diese Bewusstseinslage die Bewusstseinsseele. [2] Das Erkennen (Denken und Wahrnehmen) wird erst bewusst, wenn der Vorgang schon vorbei, wenn er erstorben ist. Ganz anders verhält es sich mit unseren Gefühlen. Sie ersterben beim Bewusstwerden nicht, sie bleiben in der Seele lebendig, sind aber üblicherweise nicht von erkennender Art, sondern berichten von sich selbst. Der Umstand, dass ich Spinat hasse oder aufs Auto des Nachbarn neidisch bin, sagt nichts über Spinat und Auto aus, nur über mich.
Das Wissen von mir selbst ruht auf zwei Pfeilern: Einerseits merke ich im Denken, dass es mich gibt, andererseits habe ich ein nicht besonders klares, eher träumerisches und auf sich zeigendes – egoistisches – Gefühl von mir. Dieses Selbstbewusstsein ist seelischer, nicht geistiger Art: Darum nennt es Steiner Seele, Bewusstseinsseele.
Wer das alles bemerkt, wird sich fragen: Wie geht es weiter? Gibt es eine Möglichkeit, dass das Erkennen seine eigene, lebendige Gegenwart erfährt und dass dadurch das wahre Subjekt des Erkennens – von Steiner Geistselbst [3] genannt – aufwacht? Warum sollte der, welcher seine Vergangenheit erfahren kann, seine Gegenwart nicht erfahren können? Dafür gibt es kein prinzipielles Hindernis, wohl aber ein praktisches: Meine Aufmerksamkeit ist viel zu schwach, um im Licht der geistigen Gegenwart etwas unterscheiden – also wach bleiben – zu können. In der Bewusstseinsschulung kann man das Kerzenlicht der Aufmerksamkeit aber dermaßen stärken, dass es im Lichte der »geistigen Sonne« [4] nicht verschwindet.
Hier stellt sich die Frage: Wer schützt mich in der schlafenden Identität mit der geistigen Welt davor, dass ich mich darin auflöse? Wem verdanke ich, dass ich beim Aufwachen – nicht nur morgens im Bett, sondern auch nach jedem verschlafenen Erkenntnisakt – weiß, wer ich bin? Das ist, glaube ich, die wahre Bedeutung des »Schutzengels«. Dieser schützt mich an erster Stelle nicht vor Katastrophen in der Alltagswelt, obwohl das nach meiner Erfahrung auch vorkommt – seine Hauptangelegenheit ist, mich als Ichwesen davor zu schützen, dass ich in der mächtigen geistigen Welt verschwinde wie Wassertropfen im Meer. Er tut das so lange, bis ich aus eigener Kraft in der geistigen Welt aufwache. Dieses Aufwachen ist die Freiheit.
Solange der Mensch sein eigenes Geisteswesen nicht erfährt, lebt er in einer grundsätzlichen existenziellen Unsicherheit. Das zeigt sich darin, dass Sicherheit in der Öffentlichkeit ein dominierendes Thema ist. Man redet über militärische, politische, wirtschaftliche, gesundheitliche und was auch immer für Sicherheiten. All das sind nur Symptome unserer grundsätzlichen Unsicherheit. Diese erstreckt sich auch auf das Denken. Die neuere Philosophie versucht immer wieder, methodisch am Denken oder an der Existenz einer Wahrheit zu zweifeln. Man merkt dabei nicht, dass das Zweifeln selbst auch Denken, das Leugnen der Wahrheit selbst auch Wahrheit ist. »Die Seele hat ein natürliches Vertrauen zu dem Denken«[5] – schreibt Rudolf Steiner. Dieses »natürliche« Vertrauen kommt daher, dass die Seele (die Bewusstseinsseele) am Ende des Denkprozesses aufwacht, sozusagen sein Kind ist. Ihr Vertrauen ist ähnlich dem Vertrauen des kleinen Kindes zu seinen Eltern. Ich kann alle meine vergangenen Gedanken in Frage stellen. Aber zu dem aktuellen Denken, womit ich gerade alles in Frage stelle, habe ich trotzdem Vertrauen. Ich kann gar nicht anders. Das wiederum kann zur Erkenntnis führen, dass sich das Denken selbst gar nicht irren kann. Meine Irrtümer entstehen vielmehr dann, wenn mein Denken nicht ausreichend rein, konzentriert ist und sich deshalb fremde Elemente (Gefühle, Interessen) einmischen. [6] Wenn es mir später gelingt, reiner zu denken, dann kann ich – mit dem gleichen Denken – meine Irrtümer entdecken. Das kann ich alles einsehen. Und trotzdem: Solange ich den Denkprozess selbst nicht erfahre, bleibt das Gefühl der Unsicherheit. Und das führt zum Gedanken: Könnte man das Denken nicht mit irgendeiner äußeren Maßnahme sicherer machen? Zum Beispiel mit einer Maschine?
Bevor wir auf die Fragen der Mechanisierung des Denkens eingehen, stellt sich noch eine Frage: Warum hat sich das Bewusstsein des Menschen zu dem entwickelt, was wir heute kennen? Warum musste der Mensch aus dem (bewusstseinsmäßigen) Paradies vertrieben werden? Warum hat er die Fähigkeit des unmittelbaren Verstehens verloren, und warum können wir miteinander und mit höheren Wesen nicht unmittelbar, ohne Worte kommunizieren? Die Antwort ist gar nicht schwierig: Solange der Mensch im unmittelbaren Verstehen lebt, kann er nicht frei sein – so wie das kleine Kind, das in unmittelbarem Verstehen die Sprache der Eltern erlernt, nicht frei ist in der Wahl der Sprache.
An dieser Stelle stehen wir heute. Wir könnten frei sein – wir machen wenig Gebrauch davon. Wir könnten für unser geistiges Wesen aufwachen – wir streben nicht besonders danach. Wer sein eigenes geistiges Leben erfährt, kommt nie auf die Idee, etwas davon mechanisieren zu wollen. Mechanisieren kann man nur die Vergangenheit der geistigen Tätigkeit, ihre Schemata. Wenn sich der Mensch mit seinem toten Spiegelbild verwechselt, dann befindet er sich in einer tiefen existenziellen Krise. Und bei dem Versuch, sich daraus zu befreien, verirrt er sich in trügerische Sackgassen. Die Idee der Mechanisierung des Denkens konnte nur im Zeitalter der Bewusstseinsseele entstehen. Die Aufgabe des Menschen wäre heute, in das flüssige, lebendige Element des Denkens erfahrend einzutreten. Stattdessen lagert er den Leichnam des Denkens – seine Mumie – in eine Maschine aus.
Mechanisierung des formalen Denkens
Wir kennen alle die Regeln des Multiplizierens, selbst wenn wir sie nicht unbedingt durchschauen. Wenn ich zum Beispiel 64*872 berechnen will, muss ich zuerst 8 mit 64 multiplizieren, dann die 7, dieses Teilprodukt muss ich um eine Stelle nach rechts verschoben darunterschreiben usw., und am Ende muss ich die Teilprodukte addieren. Warum funktioniert das? Die Multiplikation, formaler aufgeschrieben, lautet: 64*8*102 + 64*7*101 + 64*2*100 (= 55.808). Die erste Ziffer einer Zahl hat einen höheren Stellenwert als die zweite usw. Deshalb haben die Teilprodukte mit den hinteren Ziffern einen jeweils niedrigeren Stellenwert, und darum müssen sie um jeweils eine Stelle verschoben werden. Wer die wohldefinierten Regeln (den Algorithmus) der Multiplikation erfunden hat, musste das genau verstanden haben. Um den Algorithmus anzuwenden, muss ich die theoretischen Hintergründe aber nicht verstehen. Man könnte auch noch einfacher multiplizieren: Ich könnte die Zahl 64 nämlich 872mal untereinander schreiben und dann addieren (oder umgekehrt, dann wäre die Zahlenreihe kürzer). Das ist aber nicht praktisch – nicht nur, weil wir dafür viel Papier bräuchten, sondern, weil wir dabei viele Fehler machen würden. Aber eine Maschine? Sie würde dabei sicher keinen Fehler machen (die Wahrscheinlichkeit wäre jedenfalls verschwindend gering). So entstand der Gedanke: Könnten wir eine Maschine bauen, die solche Algorithmen durchführen kann, so könnten wir fehlerfrei multiplizieren, fehlerfrei rechnen.
Die klassische Informatik hat sich lange mit der Lösung formaler Aufgaben zufriedengestellt. Die erste Anwendung von Rechenmaschinen war die Entschlüsselung von Kriegsnachrichten, später hat man, neben den weiterhin zentralen militärischen Anwendungen, den Schwerpunkt auf die Mechanisierung der Bürokratie sowie auf rechenintensive wissenschaftliche Aufgaben (wie z.B. meteorologische Modelle) gesetzt. Die Computerprogramme sind zwar immer größer und komplizierter geworden (was am Ende der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts zur bekannten Software-Krise führte), sie haben sich aber trotzdem unter wohldefinierten formalen Bedingungen bewegt – und wenn doch nicht, dann galt das als Fehler.[7]
Es tauchte allerdings schon in den 50er-Jahren die Frage auf, ob man Programme entwickeln kann, die auch nicht-formale Aufgaben lösen können, Programme, die so intelligent sind wie Menschen – zumindest annähernd.[8] In den 60er-Jahren hat man begonnen, in dieser Richtung intensiv zu forschen, obwohl es zunächst mehr fantastische Versprechungen als tatsächliche Ergebnisse gab. Joseph Weizenbaum, selber einer der Pioniere der künstlichen Intelligenz, hat am Ende der 70er-Jahre hervorragende Kritik an den übertriebenen Versprechungen und Erwartungen gegenüber der künstlichen Intelligenz (KI) geübt.[9] Zu dieser Zeit war der Ausgangspunt der KI, dass das menschliche Denken als »symbolmanipulierende Maschine« angesehen werden kann und als solche mit einer Maschine relativ leicht nachahmbar sei. Es hat sich aber sehr bald herausgestellt, dass diese Ausrichtung zu keinem Durchbruch führt – aus dem einfachen Grunde, dass wir nicht sagen können, wie diese »Maschine « arbeiten soll, weil wir eben nicht wissen, wie wir denken. Die große Wende haben erst die künstlichen neuronalen Netze gebracht – aber auch auf diesem Gebiet hat es Jahrzehnte gebraucht, bis ein tatsächlich intelligent erscheinendes Verhalten erreicht werden konnte. Bevor wir auf diese Technik eingehen, stellen wir die Frage: Wieso sind die Computer generell so erfolgreich? Weshalb konnten sie die Welt in wenigen Jahrzehnten komplett überfluten?
Der menschliche Automat
Nie hätten sich die Automaten so rasend schnell verbreitet, wenn das Seelenleben der Menschen nicht selbst schon längst weitgehend automatisch funktionieren würde. Georg Kühlewind hat diese Frage schon in den 80er-Jahren mehrfach angesprochen, zum Beispiel in seinem Aufsatz ›Mensch und Automat‹. [10] Sowohl in unserem Denken als auch in unserem Fühlen verhalten wir uns im Alltag zunehmend wie Automaten. Man hört das nicht gern, aber wenn wir ehrlich sind, ist es nicht schwer einzusehen, dass dem so ist. Und diese Einsicht wäre schon eine erholsame Ausnahme.
Das Denken verwechseln wir meist mit der Erstellung von Assoziationsketten. Laut Kühlewind dürfte man eigentlich nur dann von Denken reden, wenn wir etwas Neues denken. Letzteres fällt uns aber schwer, weil wir dazu mit Geduld abwarten müssten, bis uns etwas Neues einfällt. Stattdessen erzwingen wir meistens gierig vorschnelle, schematische Antworten auf die kleinen und großen Fragen unseres Lebens, und es ist nicht überraschend, dass uns diese nicht befriedigen. Im Allgemeinen glauben wir, dass das Denken vor allem zum Problemlösen da ist. Das ist aber ein Irrtum. Die wahre Mission des Denkens ist es, einen solchen Innenraum – man könnte auch Heiligtum sagen – im Menschen zu schaffen , in dem vollkommenes Licht, vollkommenes Verstehen herrscht. Hier wird das klare Selbstbewusstsein des Menschen geboren, und von hier aus könnte er auf die Suche gehen, um höheres Licht zu erfahren. In einem anspruchsvollen Denken versetze ich mich in eine Art suchende, wartende Haltung, in dem Bemühen, mich fähig zu machen, Neues zu empfangen. Einer der ersten Schritte einer zeitgemäßen Bewusstseinsschulung besteht in der Entwicklung eines solchen anspruchsvollen Denkens. Spontan, im Alltag, kommt diese Art Denken äußerst selten vor.
Noch seltener ist ein neues Gefühl – außer in der Kunst. Die Aufgabe des Fühlens ist nicht, wie im Allgemeinen angenommen, mich mehr oder weniger angenehm zu fühlen, sondern mich »einzufühlen« – in das mit Worten nicht aussprechbare Wesen, in das »Sosein« (zen-buddhistisch ausgedrückt) der Natur und des anderen Menschen. Auf diesem Gebiet ist aber unsere Gier noch größer als beim Denken, und wir begnügen uns mit teils informativen, teils sentimentalen, vorgefertigten, schematischen Gefühlen. Die Kunst lehrt uns manchmal neue Gefühle. Manchmal auch die Liebe.
Die schlagartige Verbreitung der äußeren Automaten ist bloß eine Projektion der inneren Automatisierung. Das einzige Gegenmittel ist die Schulung des Bewusstseins. Diese führt uns methodisch in das Gebiet, wo sich Denken und Fühlen erneuern, sich in eine höhere Erkenntnisfähigkeit (von Kühlewind »erkennendes Fühlen« genannt [11]) umwandeln. Das zeigt, dass die innere Automatisierung die Folge einer inneren Unterlassung ist. Der moderne Mensch wäre reif dazu, die Herrschaft über sein Bewusstsein zu übernehmen, oder zumindest damit anzufangen. Das bedeutet Verantwortung und Arbeit. Nehme ich diese Verantwortung nicht wahr, dann verselbstständigen sich meine vernachlässigten Kräfte und wirken wie automatisch. Das ist das eigentliche Problem. Unser Problem sind nicht die Maschinen, unser Problem sind wir selbst. Nicht die äußeren Maschinen müssen wir bekämpfen, sondern unsere eigenen Automatismen. Mithilfe der Geistesschulung – aus Freiheit.
Warum sind die neuen elektronischen Geräte so attraktiv?
Es ist unverkennbar, dass die neuen elektronischen Geräte ( allen voran das allgegenwärtige Smartphone) faszinierend wirken, insbesondere auf junge Leute. Es ist schwer zu sagen, warum. Ein Grund liegt vermutlich in der attraktiven bildhaften Darstellung. Schon der Fernseher hatte eine enorme Anziehungskraft und hat sie bis heute. Der »Konsument« wird durch fortlaufend wechselnde Bilderreihen unterhalten, und es werden immer mehr Sinnesorgane einbezogen.[12] Das bewirkt im Konsumenten eine innere Passivität wie im Halbschlaf, die offensichtlich angenehm ist – vermutlich deshalb, weil sie an eine längst vergangene innere Gebärde erinnert, als die Menschen die göttlichen Offenbarungen noch mehr oder weniger unmittelbar empfangen konnten (meistens im Rahmen einer Zeremonie unter der Leitung eines eingeweihten Priesters). Diese Gebärde ist aber heute völlig unzeitgemäß, retrograd. In der Passivität des heutigen Menschen sprechen nicht die Götter, sondern die Tatortkommissare und die kleinlichen Sorgen des Alltags.
Bei den computergesteuerten Geräten kommt ein zusätzliches Element dazu: die Interaktivität. Diese soll den Benutzer aus der völligen Passivität herausholen. In Wirklichkeit bedeutet dies aber keine innerlich konzentrierte Aktivität. Das sieht man z.B. am unglaublich niedrigen, schematischen Niveau der sozialen Netze (Ehre den Ausnahmen). Die Menschen drücken weiterhin wie im Halbschlaf auf ihren Geräten herum. Aber hinter dieser »aktiven Passivität« verbirgt sich noch mehr. Wir haben schon erwähnt, dass die aktuelle Aufgabe des Menschen wäre, die Gebärden der Konzentration und Meditation zu erlernen.[13] In der Meditation verwirklichen wir jene vollkonzentrierte, aber von Objekten freie Aufmerksamkeit, in der neue Inspirationen und Intuitionen erscheinen können. Der Mensch macht dabei sein Bewusstsein leer, arm (»Selig sind die Armen im Geiste ...«) – und erhält Hilfe von oben (»... denn ihnen gehört das Himmelreich « – Mt 5,3). Deshalb können wir die Meditation auch eine Art »aktive Passivität« nennen, in der die Aktivität die volle Konzentriertheit der Aufmerksamkeit bedeutet und die Passivität eine Offenheit, eine innere Stille, in der »das Flüstern des Heiligen Geistes« (Kühlewind) ertönen kann. So sehen wir, dass sich in den interaktiven Geräten der nächste, aktuelle Schritt des Menschen äußert – wenn auch leider in einer verzerrten, mechanisierten Form. Die Benutzung der interaktiven Werkzeuge heilt unsere schwache, zerstreute Aufmerksamkeit nicht – im Gegenteil, sie macht sie noch zerstreuter, noch schwächer. Es ist aber zu bemerken, dass gerade hinter den abwärtszeigenden, negativen Schritten oft die aufwärtsweisenden, positiven Sehnsüchte der Menschheit stehen. Wenn wir das verstehen, dann fällt es leichter, unsere suchenden Gesten zu ändern: Erwarte Deine innere Entwicklung nicht von Maschinen, sondern von dir selbst! Tust du das, so kommt auch Hilfe von oben. Tust du das nicht, kannst du eines Tages selbst zur Maschine werden. Und dann kann dir niemand mehr helfen.
Der Triumphzug des maschinellen Lernens
Georg Kühlewind schreibt in ›Das Leben der Seele‹, sein Buch über spirituelle Psychologie:
„Denken und Wahrnehmen erzeugen in unserem feineren und gröberen Organismus – bis ins Physische hinein – Wirkungen. Dadurch werden sie herabgelähmt, »aufgehalten«. Die Denk- und Wahrnehmungsinhalte erscheinen als Vergangenheitsbilder eines Lebens, das wir im Erkenntnisvorgang folgernd erahnen, aber nicht bewusst erfahren. Sowohl Denken wie Wahrnehmen sind Weltenprozesse, die sich im Menschen abspielen.“[14]
Dass das Erkennen ein Weltenprozess ist, erfahren wir nicht unmittelbar. Wir können aber aus dem Umstand, dass wir sowohl im Denken als auch im Wahrnehmen konsensfähig sind, darauf schließen. Dies zeigt, dass Denken und Wahrnehmen gemeinsame Fähigkeiten sind, die sich nur in jedem von uns individuell äußern. Das Erkennen ist ein Weltenprozess, der am menschlichen Organismus aufgehalten, abgebremst, ja abgetötet wird. Während der individuellen Entwicklung werden immer mehr Kräfte frei, die bis zu einem gewissen Zeitpunkt an den Wesensgliedern des Menschen arbeiten. Diese Kräfte stehen von da an dem Menschen, dem menschlichen Ich zur Verfügung: Das sind die Kräfte des Lernens. Wenn der Weltenprozess des Erkennens seine »Wirkungen« in den freien Bereichen der Wesensglieder ausübt, und zwar so, dass die Freiheit dieser Bereiche dadurch nicht beeinträchtigt wird, dann werden die freigewordenen Kräfte zu Fähigkeiten.[15] Im weniger gutem Fall hinterlassen die Wirkungen festere »Spuren«, und es entstehen statt Fähigkeiten Gewohnheiten (von denen manche durchaus nützlich sind). Im noch weniger gutem Fall verzerren die Spuren auch die in der Schöpfung weise geformten Leiber und ihre Beziehungen zueinander, und so entstehen zwanghafte Gewohnheiten oder gar Krankheiten.[16] Die Spuren im physischen Leib kennt auch die Naturwissenschaft. Die Spuren des Denkens können im Gehirn beobachtet, gemessen werden. Genau diese Beobachtung hat zur Idee der computerbasierten, künstlichen neuronalen Netze geführt. Nach jahrzehntelanger Forschungsarbeit ist es gelungen, diese Technik auf ein solches Niveau zu heben, dass die künstlichen neuronalen Netze tatsächlich verwirrend gute »Lernfähigkeit« aufweisen und damit den Anschein der Intelligenz erwecken.
Die klassische Informatik hat sich nur mit formal wohldefinierten Aufgaben beschäftigt. Fragen wie z.B. nach Ähnlichkeiten lagen außerhalb ihres Gebiets. Wann sind zwei Gesichter ähnlich? Wem ähnelt ein alter Mensch mehr, einem anderen alten Menschen oder seinem eigenen zehnjährigen Bild? Für Systeme, die auf künstliche neuronale Netze aufbauen, sind solche Fragen nicht von vornherein ausgeschlossen. Nehmen wir als Beispiel die Erkennung von Buchstaben, die äußerlich einander ähnlich, aber nicht gleich sind: A, A, A – B, B, B. Einem Erwachsenen bedeutet es nicht die geringste Schwierigkeit, die ersten drei Buchstaben als As und die anderen als Bs zu erkennen. Diese Ähnlichkeit können wir aber mit algorithmischen Methoden praktisch nicht beschreiben, es gibt viel zu viele Unregelmäßigkeiten, formal kaum beschreibbare Einzelheiten. Wir können aber künstliche neuronale Netze auf diese Aufgabe »trainieren«. Wenn wir der »lernenden« Software eine ausreichend große Anzahl an Beispielen (»big data«) an As und Bs zeigen (in Form von digitalen Bildern), wobei wir angeben, welche die As, welche die Bs sind (»Annotation«), dann bilden sich für die As bzw. Bs gut unterscheidbare Netzstrukturen. Diese können wir letztlich mithilfe von multidimensionalen Vektoren (also von Zahlenreihen) darstellen, wobei die Vektoren, die zu den As gehören, von denen der Bs signifikant verscheiden sind. Da wir Vektoren, die in eine ähnliche Richtung zeigen, leicht von denen unterscheiden können, die in eine deutlich andere Richtung weisen, wird unser Netz vorher noch nicht gesehene As oder Bs als solche erkennen. Wenn also eine Gestalt zu einem ähnlichen Vektor führt, wie die vorher »erlernten « As, dann trifft die Annahme – mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit – zu, dass sie ein A ist.
Das ist der Schlüssel des maschinellen Lernens (ML): Mustererkennung (»pattern matching«) mithilfe von statistischen Verfahren. Das ist alles. Der mathematische und informatische Hintergrund ist zwar sehr anspruchsvoll und komplex, die Kernidee ist aber einfach. Statistik benutzen wir ja immer dann, wenn wir ein Phänomen nicht verstehen. Wenn Pu der Bär nach der »Entdeckung des Nordpols« Christopher Robin fragt, was man noch entdecken könnte, antwortet dieser, dass da noch der Südpol sei, und da gebe es auch noch den Ost- und Westpol, obwohl die Erwachsenen über die zwei letzteren nicht so gern sprechen.[17] Christopher Robin versteht nicht, warum es keinen Ost- und Westpol gibt, darum verwendet er sozusagen Statistik (der Südpol scheint wahrscheinlicher zu sein als die anderen). Genau das macht die Wissenschaft auch, nur selten so lustig wie A.A. Milne, der Autor von ›Pu der Bär‹.
Die künstliche Intelligenz, insbesondere das maschinelle Lernen, hat zahlreiche Anwendungen, und viele davon sind durchaus nützlich. Wenn wir im menschlichen Organismus oder in der Gesellschaft charakteristische Muster entdecken können, so kann das für die Heilung hilfreich sein. Um Schaden zuzufügen, allerdings auch. Die Bedienungsanleitung einer Waschmaschine vom Koreanischen ins Deutsche übersetzen zu können, ist auch nützlich. Mit dem gleichen Übersetzungsprogramm Rilke ins Koreanische zu übersetzen, ist allerdings nicht mehr ratsam. So oder so: Neben aller Nützlichkeit sollten wir nicht aus den Augen verlieren, dass mit diesen neuen Werkzeugen die Möglichkeit zum Täuschen, Lügen, Fälschen usw. einen nie dagewesenen Höhepunkt erreicht hat. Alles, was an uns schematisch ist, kann mit diesen Techniken nachgeahmt – und überdies verfälscht – werden. Und wie das im Leben ist: Was man machen kann, das wird auch gemacht. Früher oder später. Es sei denn, wir Menschen ändern unseren Sinn.
Wenn die ChatGPT-Software brauchbare Schularbeiten erstellen, politische Reden formulieren oder Testaufgaben an einer Universität lösen kann,[18] so stellt sich die Frage: Was lernen wir daraus? Die Antwort ist nicht schwer: Wir fragen falsch in der Schule und an der Universität, wir reden falsch in der Politik. Wozu eine Frage stellen, auf die auch eine Maschine antworten kann? Und das lenkt jetzt unsere Aufmerksamkeit auf den Unterschied zwischen Mensch und Maschine. Das ist der wichtigste Nutzen der künstlichen Intelligenz: Nicht das ist wichtig, was die Maschinen aus den »Trainingsdaten« lernen, sondern das, was der Mensch aus dieser Lage lernen kann.
Tod und Auferstehung des Wortes
In jedem Satz, der gedacht oder ausgesprochen wurde – nehmen wir an, er sei tiefsinnig –, stirbt eine lebendige Bedeutung (das höhere Wort, der Logos) in die Wörter einer Wortsprache hinein. Aber nicht ganz: Sie kann im Verstehen auferstehen. Im gewöhnlichen Verstehen geschieht das wie ein Blitz, in der Meditation ist dieser Vorgang dauerhafter. Meditation bedeutet eben, im flüssigen Element der Bedeutung bleiben zu können. Mit der Uhr gemessen, vielleicht nur für einen Augenblick – aber ein »ewiger Augenblick« ist nicht mit der Uhr zu messen.[19]
Wenn wir den Satz niederschreiben, erstirbt er noch mehr, egal, ob wir ihn in Stein meißeln oder auf Papier schreiben. Die größten Lehrer der Menschheit (wie Sokrates, Buddha oder Christus) äußerten sich nur in lebendiger Sprache. Hätten jedoch ihre Schüler ihre Lehren nicht niedergeschrieben, dann könnten wir diese heute nicht lesen. Das Niederschreiben führt nicht in die Ewigkeit, erhöht aber den Zugang zu den Wörtern in Raum und Zeit. Dafür macht es sie noch toter, noch abstrakter und verfälscht sie auch – mit oder ohne Absicht.
Die Handschrift wurde durch den Druck und die Schreibmaschine abgelöst – und heute durch den Computer. Speichern wir die Texte in Computern, so werden sie »noch toter«. Man kann sie uneingeschränkt speichern, vervielfachen – und verfälschen.Der Zugang in Raum und Zeit wird immer leichter, aber das tiefe Verständnis rückt uns immer ferner.
Mit KI und ML ereignet sich eine neue, dramatische Wende im Schicksal des Wortes. Und die Idee, die Texte im Computer nicht nur passiv zu speichern, sondern »aktiv« lesen zu wollen, eröffnet ein neues Kapitel in der Geschichte des Todes des Logos. Dieses »Lesen« richtet sich nicht auf die Bedeutung, weil niemand da ist, der sie verstehen könnte. Eine Maschine kann überhaupt nichts verstehen, weil nur ein Jemand etwas verstehen kann. Die Maschine ist aber ein Niemand. Dieses falsche Lesen sucht Schemata, Wiederholungen, Gesetzmäßigkeiten in den Texten und Bildern. Es kann auch Abweichungen, Anomalien finden, diese deuten kann aber nur ein Mensch. Haben wir einer ML-Software das Erkennen von As und Bs beigebracht und zeigen wir ihr ein C, dann wird sie (vermutlich) erkennen, dass sie diese Gestalt nicht kennt, wird aber nicht wissen, dass das ein C ist – solange sie nicht auch auf Cs trainiert wird. Es kann auch sein, dass sie die Anomalie gar nicht erkennt.[20] All das kann und darf uns in einzelnen Anwendungen nützlich sein, kann aber auch schädlich sein. Das Wichtigste ist, dass wir die innere Geste im Hintergrund erkennen, die man die Verfälschung der Auferstehung nennen könnte, denn die Maschine imitiert das Verstehen. Etwas Ähnliches ist es, wenn Menschen ihren Körper einfrieren lassen, in der Hoffnung, in einigen Jahrhunderten in einem neuen Leben zu erwachen. Sie imitieren die Auferstehung – was für eine verzweifelte, elende Geste!
Die verfälschte Auferstehung des Logos bildet eine noch nie dagewesene Hürde für die wahre Auferstehung, für das geistige Erwachen des Menschen. Verliert der Mensch den Bezug zu seiner Logos-Natur, so gibt er es endgültig auf, die göttlichen Ideen hinter der Schöpfung verstehen zu wollen, dann verzichtet er darauf, am »achten Tag der Schöpfung« sich selbst unter die Schöpferwesen einzureihen und die von Christus begonnene Arbeit zu vollenden: die Erlösung der Erde und des Menschen und die Umwandlung der Erde zum »Planeten der Liebe«[21]. Er entzieht sich so der Schöpfung – und begeht einen kollektiven geistigen Massenselbstmord.
Der Mensch flüchtet vor seiner Aufgabe, vor seiner Verantwortung, vor seiner Freiheit. Wenn er die schematischen Elemente seines Erkennens in eine Maschine auslagern kann, so mag er sich einbilden, dass er mit dieser Ersatzhandlung den grundsätzlichen Widerspruch seines Bewusstseins verdrängen kann, nämlich, dass er seine eigenen geistigen Quellen nicht erfährt. Wir machen »Fortschritte« in diesem Verdrängen. Die Frage ist nicht, ob wir eine Maschine bauen können, die ein menschliches Bewusstsein hat, sondern ob wir selbst dermaßen schematisch werden können, dass wir wie Maschinen sind. Verliert der Mensch seine letzte Verbindung zu seinen geistigen Quellen, dann wird er zum Tier oder zur Maschine, zum Automaten. Das wäre der seelisch-geistige Tod des Menschen, aus dem es keine Auferstehung gibt. Christus hat den Tod selbst auf sich genommen, er ist aus eigenem Willen in die Unterwelt abgestiegen und aus eigener Kraft zurückgekehrt. Die Mechanisierung des Geistes geschieht nicht aus unserem eigenen Willen – im Gegenteil, sie bedeutet den endgültigen Verlust des eigenen Willens. Man könnte entgegensetzen: Die Menschen, welche die Automaten entwickeln, bringen doch eine enorme geistige Leistung hervor. Das stimmt sogar. Trotzdem wird diese Entwicklung durch eine unbemerkte selbstmörderische Geste vorangetrieben.
Das ewige Leben
Die moderne Wissenschaft hat eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, um das Leben des physischen Leibes deutlich, ja fast für ewig auszudehnen.[22] Das ewige Leben besteht aber nicht in der Verlängerung des physischen Lebens. Das ewige Leben hat nur dann einen Sinn, wenn es eine Erfahrung im Bewusstsein ist: »Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzig wahren Gott, erkennen und den, den du gesandt hast, Jesus Christus.« (Joh 17,3). Das ewige Leben ist Erkennen. Die wahre Auferstehung ist die im »herrlichen« Leib; am »armseligen« Leib ist ja nichts, was auferstehen könnte: Die Auferstehung ist die Umwandlung des armseligen Leibes in den herrlichen Leib.[23] Der herrliche Leib ist aber aus keinem Stoff, weder aus aufgetautem Fleisch und Blut, noch aus magnetischen Datenträgern, noch aus künstlichen Zellen (»Nano-tubes« ), sondern aus der Wirklichkeit des Geistes.
Die Auslagerung der schematischen Teile des Denkens in und die Übertragung der Verantwortung für das Denken an Maschinen ist ein besorgniserregender Schritt in die Richtung des vollständigen Verlusts des Denkens. Und dennoch: Gerade diese Lage konfrontiert uns mit nie da gewesener Radikalität mit der Frage: Wer ist der Mensch? Je »menschlicher« unsere Maschinen werden, umso quälender stellt sich die Frage: Wo ist der Unterschied? Es wird uns in grellem Licht klar: Wir verstehen den Menschen nicht, wir verstehen uns selbst nicht. Das könnte uns zur Umkehr bewegen, zur Besinnung auf das, was in uns nicht mechanisierbar ist, weil es lebt und geistige Realität ist. Wenn uns die KI zu dieser Erkenntnis verhilft, dann erkennen wir, dass sich auch in ihr große, in die Zukunft weisende Sehnsüchte der Menschheit äußern – obwohl in einer verzerrten, verfrühten Form. Verstehen wir das, dann brauchen wir uns vor der Künstlichen Intelligenz nicht mehr zu fürchten – weil wir uns vor gar nichts mehr zu fürchten brauchen. Die wahre Sicherheit des Menschen liegt in der Erfahrung der geistigen Wirklichkeit und der Liebe. »Furcht ist nicht in der Liebe, nein, die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus ...« (1 Joh 4,18).
Wer in der Meditation die Wirklichkeit des eigenen geistigen Wesens und die der geistigen Welt erfährt, fällt nie in Versuchung, sich selbst oder seine Mitmenschen mit Maschinen zu verwechseln. Die große maschinelle Täuschung funktioniert nur insofern und so lange, wie wir selbst als Maschinen leben. Werden die höhere Erkenntnis und die Liebe zur Wirklichkeit in uns, droht keine Gefahr mehr, dass wir für immer in dem maschinellen Tod erfrieren. Das ist der Wendepunkt der Zeit. Wir müssen uns entscheiden: Gehen wir auf den Weg der Reinigung und Heilung der Aufmerksamkeit, oder lassen wir zu, dass uns die geistige Trägheit mitreißt? Bleiben wir stehen, oder folgen wir dem Dichter: »Du musst dein Leben ändern.«[24]
Laszlo Böszörmenyi | geb. 1949 in Budapest, hat in seiner 45-jährigen Laufbahn als Informatiker über 200 wissenschaftliche Schriften veröffentlicht und zahlreiche Forschungsprojekte geleitet. 1992 bis 2017 war er Professor für Informatik an der Universität Klagenfurt und stand dort dem Institut für Informationstechnologie vor. Parallel zu akademischer Forschung und Lehre lernte er die Anthroposophie und im Jahr 1978 Georg Kühlewind kennen, woraus sich eine lebensprägende Begegnung entwickelte. Er ist heute als Vortragsredner und Seminarleiter zu anthroposophischen Themen, vornehmlich zu Fragen des Übungsweges, tätig. Zuletzt erschien von ihm: ›Georg Kühlewind – Ein Diener des Logos‹ (Stuttgart 2022).
[1] Die Intensität des Nachdenkens kann z.B. folgende Übung erhöhen: Ich versuche zuerst den ganzen Satz zu verstehen. Dann nehme ich mir die Wörter von hinten der Reihe nach vor. Ich denke über ihren – sehr breiten – Sinn nach, und dann lasse ich das jeweils aktuelle Wort weg. Der Rest des Satzes wird immer kürzer, aber merkwürdigerweise wird er deshalb nicht geringer, sondern im Gegenteil, seine Intensität wird immer größer. Am Ende der Übung bleibt ein einziges Wort: »Wie« oder »Was« übrig, und das lässt die Freiheit uneingeschränkter Möglichkeiten erleben. Der nächste Schritt könnte sein, auch dieses Wort wegzulassen. Wenn unsere Aufmerksamkeit in diesem scheinbaren »Nichts« konzentriert bleibt, dann treten wir in den gegenwärtigen, lebendigen, ewigen Prozess der Meditation ein.
[2] Vgl. Rudolf Steiner: ›Die Geheimwissenschaft im Umriß‹ (GA 13), Dornach 1989, Kap. ›Wesen der Menschheit‹, S. 67.
[3] A.a.O., S. 72.
[4] Vortrag vom 30. Mai 1908 n ders.: ›Das Johannes Evangelium‹ (GA 103), Dornach 1995, S. 175.
[5] Ders.: ›Die Schwelle der geistigen Welt‹ (GA 17), Dornach 1987, S. 9.
[6] Interessanterweise haben das nicht nur Geistesforscher wie Steiner und Georg Kühlewind entdeckt, sondern auch der geniale österreichische Mathematiker Kurt Gödel: »But every error is due to extraneous factors (such as emotion and education); reason itself does not err.« (Als mündliche Äußerung vom 29. November 1972 überliefert in Rebecca Goldstein: ›Incompleteness – The Proof and Paradox of Kurt Godel‹, New York & London 2005, S. 11.) Gödel war übrigens derjenige, der einen mathematischen Beweis geliefert hat, dass formale Systeme sich selbst nicht begründen können. Daraus folgt auch, dass man nicht alles berechnen kann. Die Berechenbarkeit selbst kann man z.B. ebenfalls nicht berechnen, nicht einmal definieren – obwohl der Mathematiker und Computer-Pionier Alan Turing das versucht hat.
[7] In dieser Zeit ist der bekannte Informatiker-Scherz entstanden, mit dem man ungewöhnliches Verhalten von Software kommentierte: »Is this a feature or a bug?« (Ist das ein Leistungsmerkmal oder ein Fehler?)
[8] Vgl. Alan M. Turing: ›Computing Machinery and Intelligence‹, in: ›MIND – A Quarterly Review of Psychology and Philosophy‹ Vol. 59, No. 236 (1950).
[9] Vgl. Joseph Weizenbaum: ›Computer Power and Human Reason – From Judgement to Calculation‹, San Francisco 1976.
[10] Enthalten in Georg Kühlewind: ›Das Licht des Wortes – Welt, Sprache, Meditation‹, Stuttgart 1984.
[11] Vgl. ders.: ›Wege zur fühlenden wahrnehmung – die Belehrung der Sinne‹, Stuttgart 2022.
[12] Es laufen Forschungen, um zusätzliche Sinnesorgane heranzuziehen, wie z.B. Wind-Effekte (mithilfe steuerbarer Ventilatoren) oder die Erzeugung von Gerüchen (durch gesteuerte chemische Reaktionen). Das von Aldous Huxley in ›Schöne neue Welt‹ (1932) prophezeite »taktile« Kino könnte auch noch Realität werden.
[13] Vgl. z.B. Georg Kühlewind: ›Vom Normalen zum Gesunden‹ (Stuttgart 2017) oder Rudolf Steiner: ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹ (GA 10).
[14] Georg Kühlewind: ›Das Leben der Seele zwischen Überbewusstsein und Unterbewusstsein – Elemente einer spirituellen Psychologie‹, Stuttgart 2006, S. 21.
[15] Siehe Anm. 2 und 3.
[16] Die Verzerrung der Wesensglieder und ihrer Beziehungen geschieht nicht nur im Laufe der individuellen Entwicklung, sondern genau in jener Veränderung, welche die Bibel als »Sündenfall« bezeichnet. Vgl. Rudolf Steiner: ›Die Welt der Sinne und die Welt des Geistes‹ (GA 134), Dornach 1990.
[17] Alan Alexander Milne: ›In welchem Christopher Robin eine Expotition zum Nordpohl leitet‹, in ders.: ›Pu der Bär. Gesamtausgabe‹, Hamburg 2009 S. 111f.
[18] An der Universität Klagenfurt, an der ich gelehrt habe, hat man ChatGPT 130 Prüfungsaufgaben für Informatikstudenten gestellt, und es hat 105 perfekt gelöst. Von solchen Studenten träumt man gern!
[19] »Zwischen Anfang und Ende ist Zeit. / Zwischen Ende und Anfang ist Ewigkeit. [...] / BEIM TOD JEDES AUGENBLICKS / KANNST DU EINTRETEN INS EWIGE SEIN / IN DIE ERSCHAFFENDE WELT / WO AUCH DU DEN AUGENBLICK ANZUSTOSSEN VERMAGST.« – Gitta Mallasz: ›Die Antwort der Engel‹, Einsiedeln 1981, S. 157.
[20] Bekanntlich hat ein KIund ML-gesteuertes »selbstfahrendes « Auto eine Frau überfahren, die ihr Fahrrad geschoben hat. Das ML-Programm wurde sowohl auf Fußgänger als auch auf Radfahrer trainiert, nicht aber auf Menschen, die ihr Fahrrad schieben. Es hat gar nicht erkannt, dass »etwas« da ist.
[21] Vgl. u.a. Rudolf Steiner: ›Kosmogonie‹ (GA 94), Dornach 2001, S. 35.
[22] Vgl. Laszlo Böszörmenyi: ›Mondenlicht – Sonnenlicht. Die Umkehr zur Quelle der wissenschaftlichen Denkweise‹, Frankfurt a.M. 2021.
[23] Phil 3,20-21: »Denn unsere Heimat ist im Himmel; von dort erwarten wir auch als Retter den Herrn Jesus Christus, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines herrlichen Leibes aufgrund der Macht, mit der er sich auch das All zu unterwerfen vermag.«
[24] Rainer Maria Rilke: ›Archaïscher Torso Apollos‹ – https://de.wikisource.org/wiki/Archaïscher_Torso_Apollos