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Anthroposophische Ideen ernstnehmen

Kommunikation in Zeiten der Corona-Pandemie.

von M.Niedermann, S.Knust | 04/20/2022
Matthias Niedermann | Foto: M. Elbert

»Karl Lauterbachs seriöser Gegner« – so überschrieb kürzlich die Zeitschrift „Der Freitag“ ihren Artikel über den Aktivisten Dr. Steffen Rabe, einen der schärfsten Kritiker der Corona-Politik. Er wird als Gegenpol des aktuellen Gesundheitsministers Karl Lauterbach beschrieben, der immer streng wissenschaftlich argumentiere. Man muss nicht mit der aus- geübten Kritik übereinstimmen, aber aus anthroposophischer Sicht kann man sich durchaus fragen: Wie wird man zu einem „seriösen Kritiker“ und als „wissenschaftlich argumentierend“ ernst genommen? Oder etwas grundlegender formuliert: Welche Art von Ernsthaftigkeit ist aktuell medial gefragt?

In den letzten Monaten wurden die Begriffe „Anthroposophie“, „Waldorfpädagogik“, „Bio-dynamische Landwirtschaft“ und „Anthroposophische Medizin“ in Zeitungen, Fernsehsendungen und Talkshows verrissen, mindestens kontrovers, meist aber diffamierend diskutiert sowie satirisch zerlegt. Sehr selten standen anthroposophische Ideen in einem seriösen und positiv erweiternden Kontext. In über 80 Beiträgen in deutschen Medien wurde und wird die Kritik gegenüber anthroposophischen Auffassungen und anthroposophischer Praxis geäußert. Die Liste der Vorwürfe ist nur zum Teil neu. Im Kern geht es um die scheinbare Wissenschaftsskepsis der Anthroposophie sowie deren angebliche Menschen- und Staatsfeindlichkeit. Sucht man nach den wichtigsten Ursachen, die zu dieser beispiellosen und einseitigen Berichterstattung beigetragen haben, so fällt eine Reihe von Anlässen auf: die ungültigen Maskenatteste an einigen Waldorfschulen, Rollenkonflikte zwischen Aufgaben in anthroposophischen Einrichtungen und intensivem politischen Engagement in der Anti-Corona-Bewegung oder zum Teil höchst fragwürdige spirituelle Auseinandersetzungen mit der Krise.

Überblickt man diese hausgemachten Probleme, so lässt sich feststellen, dass einerseits persönliche Konflikte und andererseits unprofessionelles Management in den Einrichtungen sowie ideologische Herangehensweisen ihren Teil zu den Berichtsanlässen beigetragen haben. Dadurch wurde leider die von vielen Menschen geleistete harte und konstruktive Arbeit in anthroposophischen Einrichtungen zur Bewältigung der Corona-Krise übertönt. Die Pandemie ist nicht nur für die Gesellschaft eine Herausforderung, sondern auch verstärkt für Menschen, Initiativen und Einrichtungen, die mit einem spirituell-ethischen Anspruch und anthroposophischen Ideen Dienstleistungen erbringen. Zu Krisen gehört das Sichtbar-Werden von Missständen dazu und gleichzeitig bergen sie ja auch immer die Möglichkeit zur produktiven Entwicklung.

Ein weiterer Treiber der einseitigen Berichterstattung ist der Umstand, dass sich die oben angedeuteten Einzelfälle aus dem anthroposophischen Milieu medial leicht verallgemeinern lassen und als genuin „anthroposophisch“ dargestellt werden. Die politische Situation während der Corona-Pandemie im vergangenen Herbst führte zur Frage, warum die Impfquote im deutschsprachigen Raum so niedrig sei. Einer der beliebtesten Erklärungsansätze vertrat die These, dass eine skeptische Einstellung gegenüber der Impfung generell mit einer wissenschaftsfeindlichen Haltung einhergehe. Konkreter wurde auf die angeblich wissenschaftsfeindliche Tradition der „Romantik“ sowie ihre ideellen Nachfahren, die „Lebensreformer“ und das „anthroposophische Milieu“, verwiesen. Dieser Erklärungsansatz besticht durch seine Einfachheit und trug im Herbst 2021 zur Stabilisierung einer anti-anthroposophischen Haltung in der medialen Öffentlichkeit bei. Diese mediale Verdrängungsdiskussion ermöglichte, dass die vor allem politischen und wissenschaftlichen Ursachen für die zögerlich angenommene Impfkampagne nur wenig diskutiert und die „Anthroposophen“ als kleine gesellschaftliche Gruppe zum Sündenbock gemacht wurden.

In der Öffentlichkeitsarbeit der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland arbeiten wir in den letzten Monaten intensiv mit den anthroposophischen Verbänden und Organisationen in Deutschland zusammen. Gemeinsam unterstützen wir Menschen und Einrichtungen bei Medienanfragen, betreiben ein systematisches Medien-Monitoring, prüfen jeden Artikel mit Anthroposophie-Bezug zu medienrechtlichen Fragen und verfassen nun in regelmäßigen Abständen Pressemeldungen, die wir über einen breiten Verteiler versenden. Weitere Schritte sind noch in Planung und wir werden bei der Umsetzung davon berichten.

Unser Ziel ist es, einerseits der Verbreitung von Falsch-Informationen entgegenzutreten und andererseits in der medialen Öffentlichkeit deutlicher zu kommunizieren, was anthroposophische Ideen sind. Sie sind verstehbar, unkonventionell und nicht immer gleichzusetzen mit zuweilen skurrilen Erscheinungsformen im »anthroposophischen Milieu«. Damit möchten wir helfen, den medialen Boden für die nächsten Jahre bis zum Jubiläumsjahr 2025 vorzubereiten. Wir hoffen, dass diese kleinteilige „Fleißarbeit“ einen Beitrag dazu leistet, dass die anthroposophischen Ideen in der näheren Zukunft auch in der Öffentlichkeit seriös diskutiert werden und so Möglichkeiten der gesellschaftlichen Verwirklichung finden. Ein erster Schritt liegt darin, die Realität dieser Ideen hinterfragend ernst zu nehmen.

Matthias Niedermann  |  AGiD, Assistenz des Vorstands
Sebastian Knust  |  AGiD, Öffentlichkeitsarbeit

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