Anthroposophische Gesellschaft international
Zur Konferenz der Landesrepräsentanten am Goetheanum
Nach zweijähriger Unterbrechung konnte endlich wieder eine reale Begegnung vieler Landesrepräsentanten und Generalsekretäre der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft (AAG) am Goetheanum in der ersten Aprilwoche stattfinden. Die dreitägige Zusammenkunft diente dem Austausch über die Entwicklungen in den jeweiligen Ländern, gemeinsamer Beratung und Beschlüssen, vorbereitend für die Generalversammlung, die jährlich am Wochenende des Palmsonntags stattfindet.
Vertreterinnen und Vertreter aus aller Welt waren zusammengekommen: Belgien, Brasilien, Bulgarien, Dänemark, England, Estland, Finnland, Frankreich, Holland, Irland, Israel, Italien, Norwegen, Rumänien, Slowakei, Schweden, Schweiz, Südafrika, Ungarn, Tschechien, USA. Auch wir aus Deutschland fehlten nicht. Freude und Kraft, sich wieder leibhaftig zu begegnen, prägten die Atmosphäre, und es waren wirkliche Herzensbegegnungen, die ich als neue Teilnehmerin vielfach erleben durfte.
Der Blick auf die global schwierigen Verhältnisse mit den lokal sehr verschiedenen Nöten und Herausforderungen sowie die medialen Angriffe der vergangenen Monate auf die Anthroposophie und ihre Lebensfelder – vor allem in den mittleren europäischen Ländern –bildeten den Einstieg in die Konferenz.
Um sich in einer solch internationalen Runde ein Verständnis der Signatur der Zeit zu erarbeiten, wäre weit mehr Zeit nötig als diese wenigen Tage. Dennoch sollte es nicht unversucht bleiben. Die derzeitige Kriegssituation in der Ukraine und die Frage, was bräuchte es für den sozialen Frieden in Osteuropa, standen zunächst im Zentrum. Aus der Klausur ging ein gemeinsam formulierter Brief für die anthroposophischen Freunde der vom Krieg betroffenen und angrenzenden Ostländern hervor, in dem unser geistiges Ringen, Gedanken zur Ost-West-Polarisierung sowie der Frage nach einer neutralen Mittebildung zum Ausdruck gebracht werden.
Rudolf Steiner zum 1. Weltkrieg: „Nein, jetzt kann man nichts dagegen tun. Man kann einzig die ganzen Dinge, die da vorliegen, klar zu erkennen suchen und mit diesen Erkenntnissen wirklich leben. Man muss immer daran festhalten, dass Gedanken wirkliche, dynamische Kräfte sind. Die Dinge klar durchdenken, das ist das einzige, was wir jetzt tun können.“ (GA 173c)
Überhaupt war die Frage der „Mittebildung statt Spaltung“ (was keinesfalls Mittelmäßigkeit meinen kann) in den weiteren Gesprächs- und Beratungsthemen immer anwesend. Der Blick auf die kommenden drei Jahre und die Frage, welche Anfangskräfte können wir für die Zeit nach dem 100. Todestag Rudolf Steiners setzen, wurden stark bewegt und prägte im weiteren Verlauf auch die Generalversammlung. Wie wird die Strahlkraft der Anthroposophischen Gesellschaft größer und öffentlicher, aus der Kraft seelisch-geistiger Vertiefung der Anthroposophie heraus?
Nach der langen Pause war deutlich erlebbar, wie wichtig es ist, sich zu treffen und zu sprechen, einander gewahr zu werden. So reichte auch diese Frage an eine tiefere Schicht: Wie kann man würdig die 100. Wiederkehr des Brands des 1. Goetheanums in der kommenden Silvesternacht begehen? Ausgehend von der Idee, Menschen aller Welt einzuladen, gemeinsam diese Nacht zu durchwachen, wird an einem Konzept gearbeitet: Viele künstlerische und soziale Einzelaktionen könnten die ganze Nacht hindurch auf dem Goetheanum-Hügel, aber auch in allen Teilen der Erde stattfinden. Zu entsprechenden Beiträgen wird zu einem späteren Zeitpunkt noch eingeladen werden.
Die letztlich sechs Tage in verschiedenen Zusammensetzungen, erweitert durch die zur Generalversammlung angereisten Mitglieder, standen auch unter dem Motto „Gesellschaft wollen“. Wer braucht und will diese Anthroposophische Gesellschaft und warum ist sie wichtig – auch und gerade nach 100 Jahren? Die Nöte heutiger Zeit haben sehr viel mit der Abwesenheit sowohl einer zeitgemäßen Spiritualität als auch kosmopolitischer Ausrichtung zu tun. Der stärkere Austausch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren bei gleichzeitiger Vertiefung der Hochschularbeit in allen Fachbereichen ist hier ein wichtiges Element. Wie werden diese Gesichtspunkte zum Motivationsschub? Anthroposophie entwickeln, initiativ tätig sein, sich den Nöten der Zeit in Zusammenarbeit zuzuwenden: Lasst uns dafür einander verbinden bis in den Ausdruck einer Mitgliedschaft.
Beurteilende Kritik der Projekte und Arbeitsweisen anderer dürften dann einen weit weniger wichtigen Platz einnehmen als so manche liebgewonnenen Gewohnheiten dies immer weiter tradieren. Hier bin ich nun schon bei der Abstimmung zu den Vereinsangelegenheiten der Generalversammlung angelangt. Gerne hätten die Landesrepräsentanten ihre Mitarbeit in der AAG bis in die Satzung hinein gestärkt gesehen, um damit den Begriff einer „Weltgesellschaft“ weiter zu prägen und zu realisieren. Trotz längerer Vorbereitung und dem starkem Votum des Goetheanum-Vorstands wurde dieses Vorhaben von den Mitgliedern jedoch abgelehnt.
„Werde ein Mensch mit Initiativen!“, sollte hier über allem stehen. Schaffen wir es, in den nächsten Jahren einen kräftigen Akzent zu setzen? Möge sich diese Frage jeder selbst stellen! Im Herbst 2023 wird es eine große Weltkonferenz am Goetheanum geben. Zu Michaeli 2024 streben wir an, dass möglichst an vielen Orten weltweit Michael-Feste auf alle nur denkbare Arten gefeiert werden mögen. Wird es gelingen, damit ein peripheres Zentrum in der Weite der Welt geistig erlebbar zu machen? Es könnte zu einer kraftvollen Hinleitung zum 100. Todestag Rudolf Steiners werden, um erlebbar zu machen: Die Anthroposophie lebt – in, mit und für die Menschen, für alle Menschen! Das wäre die kräftigste Antwort auf das ihr medial entgegengebrachte Unverständnis heutiger Zeit.
Monika Elbert | AGiD, designierte Generalsekretärin