VON MUND ZU OHR - INTERVIEW MIT MAARTEN GÜPPERTZ UND VERA KOPPEHEL
Das Künstlerteam Vera Koppehel und Maarten Güppertz hat im Rahmen der Aktivitäten rund um den 100. Todestag Rudolf Steiners ein ganz besonderes Projekt entwickelt. Sie bringen Worte Rudolf Steiners ganz nah an unser Ohr. Live bei Lesungen, analog am Telefon und auch als Podcast. Im Gespräch mit Olivia Girard.

Olivia Girard: Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, eine Art „Seelenkalender to go“, einen Hörkalender zu entwickeln?
Maarten Güppertz: Die Wochensprüche des anthroposophischen Seelenkalenders schildern das seelische Miterleben des Jahreslaufs in seinen verschiedenen Dimensionen und beziehen sich dabei in vielschichtiger Weise aufeinander. Die komplexe dichterische Komposition verschränkt das dem Sonnenlauf folgende Naturjahr mit seinen Jahreszeiten und Vegetationsperioden sowie dem Ein- und Ausatmen der Natur mit dem christologischen Jahr und dem diesem zugehörigen Festkreis von Weihnachten, Ostern und Pfingsten, der unserem Seelenleben einen Rhythmus gibt.
Vera Koppehel: Rudolf Steiner legte seinen Zuhörerinnen und Zuhörern diese 52 Sprüche immer wieder ans Herz: ‚Man könne viel erreichen, wenn man sie meditiere.‘ Dies geschieht seit 1912 täglich rund um den Erdball. Menschen auf allen Kontinenten dienen sie in verschiedenen Sprachen als Inspiration. Sie werden eurythmisch bewegt, regen zu Zeichnungen und Kompositionen an und sensibilisieren für feinere Wahrnehmungen unseres Menschseins im Natur-Kosmos-Zusammenhang.
OG: Gab es besondere Herausforderungen?
MG: Ja – zum Beispiel bei der Aufnahme.Die gegebene technische Situation eines schalldichten Raumes und des sensiblen Mikrofons erfordern von der eigenen Stimme eine innige Klarheit, sie wird leise und intim wie bei einem Hörspiel. Man kann zwar zunächst mehrere Varianten aufsprechen, aber schlussendlich gilt dann nur eine Version, für die man sich entscheiden muss. Wie kann man einen meditativen Text in ein digitales Medium so sprechen, dass er auch nach mehrmaligem Zuhören lebendig bleibt und viele seelische Resonanzräume offen und zulässt. Auch sind die Sprüche für sich gesprochen zeitlich sehr kurz. Deshalb gibt es zum ‚Reinhören/Einstimmen‘ auch stets einen Vorklang und ein kurzes Vorwort.
OG: Gibt es ganz persönliche Motive, Erlebnisse oder Inspirationen aus der Arbeit mit dem Seelenkalender, die Ihr teilen möchtet?
MG: Für mich war es etwas Besonderes, die Sprüche in der Vorbereitungszeit in Ausrichtung auf dieses Vorhaben nochmals viel intensiver einzuatmen und vor allem sie als Ganzes auszusprechen. Sozusagen das ganze Jahr mal lautlich, klanglich, inhaltlich durchzuschmecken, auf der Zunge zu haben.
OG: Was ist aus Eurer Sicht die Aktualität des Seelenkalenders und was würdet Ihr jemandem empfehlen, der sich noch ganz anfänglich damit befasst und noch Wege sucht, die Worte zu durchdringen?
MG: Selber lesen! Vorlesen, sich selbst oder anderen. Es ist eine schöne Möglichkeit, gut gestimmt in den Tag zu starten.
VK: Man kann immer neu erstaunt sein, wie gut es stimmt – das individuelle Erleben mit dem objektiven der Naturstimmung. Zugleich gibt es immer wieder Worte oder Sätze, bei denen man auch nach 10 Jahren denkt: Die habe ich (so) noch nie gehört.
OG: Was sind eure Hauptmotive dafür, dieses Projekt ins Leben zu bringen?
VK: In den Vorbereitungen zum Steiner-Festjahr kamen ja so einige Ideen aufs Spielfeld. Das Vorhaben vom Team Steiner2025, „Die größte Lesung der Welt“ zu wagen, in Berlin an einem Wochenende die gesamte GA zu performen und das Gesamtwerk Steiners gelesen, getanzt, gezeichnet frei in den Äther zu setzen – das hat mich sofort elektrisiert. Da dies leider (noch) nicht realisiert werden konnte, habe ich überlegt, wie es vielleicht in Miniatur ginge. Das sogenannte Okkulte – also das wirkliche Wissen der Welt, das Woher, Wofür, Warum, das den Menschen umtreibt, wird seit Anbeginn ausschließlich von Mund zu Ohr übermittelt. Über 360 GA-Bände mit 13 Metern Regallänge lassen vielleicht manchmal vergessen, dass es sich zu rund 80 Prozent um gesprochenes Wort handelt, das weder mitgefilmt noch aufgezeichnet wurde und uns heute nur deshalb zur Verfügung steht, weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unermüdlich mitstenografiert, übertragen und lektoriert haben.
OG: Gibt es etwas, das Ihr hinzufügen möchtet?
VK: Hören ist ein besonderer Sinn, für den komplexe Organe wie z. B. unsere spiralförmig organisierten Ohren als Voraussetzung nötig sind. Zuhören können ist eine wunderschöne seelische Tätigkeit, die sich schulen, vertiefen und verfeinern lässt. In sozialen Prozessen z. B. kann aktives, urteilsfreies Zuhören oft die gewünschte Wendung oder Lösung bringen. Mantrische Worte und Meditationen erschließen sich oft eher durch ein gesteigertes „Hellhören“ als vielleicht „Hellsehen“. Sich einen Vortrag von Rudolf Steiner oder eine Michaelsstunde vorlesen zu lassen, erlebe ich nicht als antiquiert. Im Gegenteil: Es ist eine Möglichkeit, mal eine Stunde auszusteigen, um in etwas einzusteigen. Mit Von Mund zu Ohr bieten wir analog solche Optionen. Wo auch immer man sich gerade befindet, sei es im Park, im Krankenhaus, in Kur oder im Büro, kann man für 25 oder 55 Minuten Rudolf Steiner ans Ohr buchen. Es gibt Texte, die wir anbieten, sozusagen parat haben, aber natürlich kann man sich auch den eigenen Lieblingsvortrag vorlesen lassen.
MG: Mit der Podcast-Variante kann Rudolf Steiner auch an ungewöhnlichen Orten Gehör finden, z. B. kann man den Seelenkalender auf Reisen mitnehmen, auf Bergspitzen oder einsame Inseln. Vielleicht regt er auch dazu an, Herzenstexte von Steiner selber aufzusprechen. Live vorgelesen mit klanglicher Begleitung, lässt sich dieser Jahreslauf in gut einer Stunde mit- und durcherleben.
OG: Wo kann man den Seelenkalender direkt „ans Ohr“ bekommen?
VK: Von Mund zu Ohrist als Teil des Rudolf-Steiner-Festjahrs 2025 eine Kooperation der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, des Rudolf-Steiner-Verlags und ArteVera-culture in movements.
Ab Sonntag, den 30. März, kann man wöchentlich den Seelenkalenderspruch der Woche hören auf: anthroposophie.de/seelenkalender und steinerverlag.com/podcast
OG: Vielen Dank Euch beiden für das Gespräch!
Rudolf Steiners Texte analog am Telefon oder live vor Ort können angefragt und gebucht werden unter:
ArteVera Von Mund zu Ohr
Maarten Güppertz –Schauspieler, Sänger, Dozent. Engagements u. a. beim Theater an der Ruhr, Theater Basel, Forum Theater Stuttgart. Spielte den Mephisto ungekürzt am Goetheanum und ist aktuell mit seinen Programmen Ringelnatz, den Klageliedern des Jeremia und to axion esti von Odysseas Elytis auf Tournee. Dreht Filme für ARD und ZDF, ist Dozent für Schauspiel und Sprecherziehung und an der Staatsoper Stuttgart in Falstaff/Verdi zu erleben.
Vera Koppehel –Kulturmanagerin, Dozentin für Angewandte Eurythmie, ist als Therapeutin für Heileurythmie in freier Praxis tätig und gestaltet u. a. die Unternehmenseurythmie für die Software AG Stiftung in Darmstadt. War als Stiftungsrätin der Paul-Schatz-Stiftung in Basel tätig und arbeitete am Rudolf-Steiner-Archiv in Dornach. In diesem Kontext war sie u. a. die Initiatorin der beiden Sonderzüge für Rudolf Steiner 2011 anlässlich seines 150. Geburtstags sowie 2014 anlässlich von 90 Jahren bio-dynamischer Landwirtschaft. 2025 wird sie zum Festjahr Rudolf Steiner 100 das Zelt der Sinne auf dem Stuttgarter Schlossplatz mitgestalten.