Interview mit Rik ten Cate über sein selbst gestaltetes Doppeldodekaeder
Anlässlich des 100. Todesjahres Rudolf Steiners hatten wir hier in Stuttgart einen besonderen Besuch: Das Doppeldodekaeder, das die niederländischen Freundinnen und Freunde anlässlich der 100. Weihnachtstagung 2023 dem Goetheanum in einer kleineren Version schenkten und das durch die Welt reisen soll, war bei uns zu Gast und am vergangenen Mitgliedertag sowie in einer Feier zu Steiners 164. Geburtstag zu sehen! Es war bereits in verschiedenen Ländern, kam aus Chile zu uns und reiste Anfang März weiter nach São Paulo, Brasilien, wo es bei Anthroposophischen Gesellschaft anlässlich des 100. Todestages von Rudolf Steiner erwartet wurde. Von dort geht es zurück in die Niederlande und dann wieder in den Süden. Eine kleine Odyssee, aber ein großes Zeichen der wichtigen Verbindung zwischen den Landesgesellschaften in aller Welt. Rik ten Cate ist der Künstler, der das Doppeldodekaeder entwickelt hat.

Olivia Girard: Wie bist Du auf die Idee gekommen, zwei Modelle des Doppeldodekaeders zu entwickeln und der Anthroposophischen Gesellschaft zu schenken?
Rik ten Cate: Als das Goetheanum die Dauerausstellung mit dem Holzmodell des ersten Goetheanums (angefertigt von Rudolf Feuerstack) eröffnete, fiel mir auf, dass nichts über den 1913 gelegten Grundstein zu finden war. Meine Idee war es daher, den damals gelegten Grundstein nachzubauen. Ich schlug auch vor, ihn in die Ausstellung im Südsaal der Goetheanum-Schreinerei aufzunehmen. Der Maßstab 1 : 1, 96 Zentimeter hoch, erschien mir allerdings zu groß. Also habe ich es auf 2/3 der Originalgröße verkleinert. Nicht alle Menschen in der Welt, die mit dem Goetheanum verbunden sind, können nach Dornach kommen. Deshalb entstand die Idee, auch eine zweite Form, nun in 1/3 der eigentlichen Größe, anzufertigen, die dann durch die Länder reisen kann. Dies ist gelungen. Während der 100. Weihnachtstagung in der Schweiz (2023) wurden beide Pentagondodekaeder präsentiert: der große am Goetheanum, der kleinere in der Welt.
OG: Ist dieses Modell identisch mit dem Originalmodell der Weihnachtstagung oder wie unterscheidet es sich?
RtC: Dieses Modell ist keine Kopie des Grundsteins der Weihnachtstagung 1923, sondern des Grundsteins des ersten Goetheanums, der im September 1913 gelegt wurde. Der Grundstein des Weihnachtstreffens ist keine Kupferform, sondern kam in Form des Grundsteinspruchs, einer Meditation, die in die Herzen der Anwesenden gelegt wurde. Das waren etwa 800 Menschen. Und alle, die sich später mit der Grundsteinmeditation verbinden, können sie auch in ihr Herz legen.
OG: Welche Herausforderungen gab es während der Herstellung des Grundsteins?
RtC: Die Herstellung der Formen ist eine knifflige Aufgabe. Zunächst war es schwierig, die richtigen Größen herauszufinden; mithilfe der Studien von Roland Halfen habe ich sie gefunden. Dann konnte ich mithilfe von Mathematikern genau berechnen, wie groß jede der Formen im Maßstab 2/3 und 1/3 des Originals sein sollte. In der Mitte der beiden Formen schwebt ein Pyritkristall, der eine erfinderische Lösung erforderte. Die Tatsache, dass die Dodekaeder fest auf einer Kante stehen, machte ebenfalls eine clevere Konstruktion nötig.
OG: Welche Zukunftsimpulse für die Anthroposophische Gesellschaft wolltest Du mit dem Doppeldodekaeder ganz besonders verbinden?
RtC: Die Grundsteine, sowohl die von 1913 als auch der gesprochene Grundstein von 1923, haben eine starke Verbindungsfunktion zwischen Mensch und Kosmos, zwischen Mensch und Trinität und zwischen Mensch und Hierarchien. Form und Inhalt spiegeln einen esoterischen Inhalt wider, mit dem die Anthroposophische Gesellschaft noch lange nach ihrer Entstehung in der Welt wirken kann. Das macht die Doppelpentagondodekaeder zu einem Ansporn für uns, uns mit ihrem Inhalt zu beschäftigen und beschäftigt zu bleiben.
OG: Welche Fragen und Motive bewegen Dich mit Blick auf die Zukunft der Anthroposophie, der Anthroposophischen Gesellschaft und Bewegung?
RtC: Nach hundert Jahren muss sich die Anthroposophie erneuern. Was kann das bedeuten? Die Anthroposophie hat sich im letzten Jahrhundert enorm entwickelt. Sie hat sich über die ganze Welt ausgebreitet und ein enormes Wachstum erfahren. Viele Tausende von Menschen engagieren sich und arbeiten aus der Anthroposophie heraus in Landesverbänden, in Studienzentren, in Mitgliedergruppen, in Ausbildungskursen. In über 1.000 Waldorfschulen, in vielen Tausenden von biodynamischen Höfen, in Gesundheitszentren, in religiösen Zentren, in Betrieben und in Sozialformen, in Bankinstituten, in der Kunst usw. hat die Anthroposophie Anwendungen erhalten, die der Menschheit dienen. Sie stand am Anfang der Entwicklung der heute weltweit verbreiteten ökologischen Ernährung, des ökologischen Bewusstseins, der pädagogischen Innovation. Und jetzt, nach 100 Jahren, stellt sich die Frage: Wie soll es weitergehen? Wie kann man nach einem Jahrhundert einen Weg finden, der den Schwung weiterträgt, der die Kunst findet, zu innovieren, sich weiterzuentwickeln, durch originelle Forschung zur weiteren Entwicklung beizutragen? Es geht jetzt nicht nur darum, weiterzumachen, sondern sich zu erneuern, aus der Kraft der Lebenskunst heraus.
OG: Welche Entwicklungskraft braucht es aus Deiner persönlichen Sicht für eine Anthroposophie der Zukunft?
RtC: Zunächst einmal ist es sehr wichtig, dass wir neben den Strömungen des Michael und des Zarathustra, die im letzten Jahrhundert in der Anthroposophie stark gelebt haben, jetzt die der Sophia und der nathanischen Seele stärken. Das männliche Element hat stark dominiert, jetzt ist es an der Zeit, auch die weibliche Seite zu Wort kommen zu lassen. Neben dem Fluss des Kopfes muss auch der Fluss des Herzens stärker werden, ebenso wie der Fluss der Hände. Nicht nur das Wissen ist wichtig, das Leben der Anthroposophie muss mehr in den Vordergrund gestellt werden. Darüber hinaus ist es sehr wichtig, die soziale Kunst in der Anthroposophie zu entwickeln; daran mangelt es nach meiner Wahrnehmung. Inklusivität, Respekt vor der Erde, vor den Menschen: nicht nur bekennen, sondern tun! „Gehe, wie du sprichst.“
OG: Was ist sonst der Schwerpunkt Deiner künstlerischen Arbeit?
RtC: Als Bildhauer stelle ich natürlich nicht nur Pentagondodekaeder aus Kupfer her. Ich arbeite in Bronze, Stein, Holz und Glas. Ein ständiges Thema für mich ist das Studium der Engel, in vielen Formen und Größen. Ich habe eine schöne Serie über Erzengel gemacht. Das neueste Projekt sind die 52 Bronzeskulpturen, die ich als Antwort auf den Seelenkalender geschaffen habe. Jeder Wochenspruch wurde in Bronze geformt. Von all diesen Skulpturen wurde ein Buch mit Fotos und Texten in Deutsch und Niederländisch erstellt.
OG: Vielen Dank für das Gespräch!
Rik Ten Cate wurde 1955 in Amsterdam geboren und ist seit 1982 als Bildhauer tätig. Er lebt und arbeitet in Amersfoort und war als Lehrer an der Hogeschool Leiden, Abteilung für Lehrerausbildung, tätig. Außerdem war er 15 Jahre lang Sektionskoordinator der Sektion Bildende Künste der Anthroposophischen Gesellschaft in den Niederlanden und über drei Jahre Sektionskoordinator der Sektion für Bildende Künste am Goetheanum. Jedes Jahr stellt er seine Skulpturen in den gesamten Niederlanden und regelmäßig auch im Ausland aus. Rik ist Vorstandsmitglied der Anthroposophischen Gesellschaft in den Niederlanden und vertritt als solches die Niederlande (Generalsekretär).
Website: www.riktencate.nl