Freier * Weiblicher * Fortschreiten
Frauen in der Medizin sichtbar machen auf dem Ita Wegman Kongress vom 21. Bis 23.10.2022 in Kassel! Wir fragen zwei Ärztinnen aus dem Kongress-Vorbereitungsteam, Dr. med. Cornelia Buldmann, Fachärztin für Allgemeinmedizin, und Dr. med. Tatjana Mijic, Gynäkologin, zu Dr. med. Ita Wegman – als Frau, als Vorbild und Wegbereiterin der Anthroposophischen Medizin.
Hat der Umstand, dass Ita Wegman als Frau diese neue Richtung in der Medizin prägte, einen besonderen Einfluss auf die Anthroposophische Medizin heute?
TM: Sie ergriff das Medizinstudium in der Schweiz, weil es Frauen in Deutschland noch untersagt war. Sie war Ärztin, Forschende, Lehrende, Führungskraft, Gründerin einer Klinik und einer therapeutischen Einrichtungen, Weltreisende. Sie entwickelte mit Rudolf Steiner die Grundlagen der Anthroposophischen Medizin. Das Besondere liegt umgekehrt darin, wie wenig sie als Frau heute bekannt ist.
CB: Ein Aspekt ist, dass die Anthroposophische Gesellschaft Ita Wegman 1935 ausgeschlossen hat. Erst vor fünf Jahren, 2018, wurde sie rehabilitiert. Innerlich sind viele Ärztinnen und Ärzte mit ihrem Impuls – die Erneuerung der Medizin – verbunden. Wir machen Sie auf unserem Kongress öffentlich sichtbar.
Wie kann die Rückbesinnung auf die mit Ita Wegman verknüpften Ursprünge der Anthroposophischen Medizin bei heutigen Herausforderungen helfen?
CB: Ita Wegman kann Vorbild sein bei den politischen und medialen Angriffen, die wir erleben: Sie hatte einen wachen Geist und war klar in Entscheidungen. Sie grenzte sich 1933 klar gegen anthroposophische Kollegen ab, die der NSDAP beitraten und gemeinsame Kongresse planten. Stattdessen ging sie mit den Jungmediziner:innen nach England mit der Frage zur Mysterien-Medizin. TM: Bei Widerstand sucht sie nach neuen Wegen. Als der Ernährungskongress in Deutschland wegen des Faschismus keine Fortsetzung fand, ging sie nach England und gründete mit Lord Dunlop ein medizinisches Zentrum. Diese Haltung brauchen wir heute.
CB: Ita Wegman hat als Ärztin und Masseurin die Rhythmische Massage mit M. Hauschka entwickelt. Sie behandelte auch mit äußeren Anwendungen und stand für eine individualisierte Therapie – hier war sie treffsicher und phantasievoll. Beides, die Therapien und der Blick auf das Individuum sind für die Anthroposophische Medizin heute wesentlich. TM: „Schon damals hat Ita Wegman zusammen mit Mitarbeiterinnen Forschung betrieben, Fallvignetten dokumentiert, Statistiken erhoben, erste Grundlagen der Mistelforschung gelegt. All das sind Aufgaben, die uns in der Anthroposophischen Medizin auch heute beschäftigen: der wissenschaftliche Ansatz.
Was gibt Ihnen Ita Wegman ganz persönlich mit auf den Weg?
TM: Wegman war eine moderne Netzwerkerin und eine Frau der Tat. Sie war Führungsspitze der Medizinischen Sektion, hat dort größte Verfolgung erlitten ohne daran zu zerbrechen. Sie ist mein Vorbild im tatkräftigen Voranschreiten und in der warmen therapeutischen Fürsorge. Und sie hat gelebt, wie sie werden wollte – nicht wie sie sollte.
CB: Ita Wegman emanzipierte sich aus ihren Lebensbedingungen: Sie lässt, in Indonesien geboren, den Kolonialismus hinter sich, geht gegen Widerstände dem eigenen Berufswunsch nach und nimmt sich dafür ihre eigene Zeit: Heilgymnastik und Massage, Abitur, Medizinstudium und auch in der Begegnung mit Rudolf Steiner. Darin liegt eine große innere Freiheit. Sie war weltverbunden und bereits vor 100 Jahren vielreisende Europäerin. Mir gefällt dieser kreative, emanzipatorische Geist.
Die Fragen stellte Ursula Hirt | Gesellschaft Anthroposophische Ärzte in Deutschland (GAÄD)