Öffentlichkeitsarbeit in Zeiten von Corona
Im Gespräch mit dem Journalisten Wolfgang Müller
Dass wir uns als AGiD in Zeiten von Corona vermehrt um die Öffentlichkeitsarbeit kümmern müssen, ist mehrfach beschrieben worden. Inzwischen sind einige Initiativen entstanden, wie die gemeinsam abgestimmte „Krisenkommunikation“ mit zahlreichen anthroposophischen Verbänden und die Homepage „anthroposophie-gegen-rassimus.de“. Im „Blätterwald“ der Medien sind uns auch einzelne Artikel aufgefallen, die in sachlicher, konstruktiver Art die Anthroposophie behandeln. So auch die von Wolfgang Müller, langjähriger Redakteur für Zeitgeschichte beim NDR. Das hat uns dazu bewogen, den Journalisten aus Hamburg am 14. April in den Vorstand der AGiD einzuladen, auch wenn das nur per Zoom möglich war. Wir wollten ihn und seinen Hintergrund besser kennenlernen, ihn fragen, wie er die mediale Wirkung der Anthroposophie gegenwärtig einschätzt und wie er auf die Kritikpunkte blickt. In dem 1,5-stündigen Gespräch entstanden Gesichtspunkte, die hier stichwortartig wiedergegeben werden sollen.
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Zunächst ging es um die Fragen rund um den Rassismusvorwurf. Hier sei es wichtig - so Wolfgang Müller - sich nicht stumm zu stellen und die Vorwürfe „über sich ergehen“ zu lassen. Es gehe darum, valide Antworten zu finden. Im Einzelfall könnte man aus seiner Sicht einräumen, dass es bei Steiner Passagen gibt, die problematisch sind. Entscheidend sei aber, deutlich zu machen, dass die Vorwürfe letztlich marginale Aspekte betreffen, dass die Anthroposophie in ihrem Kern und Wesen völlig anders, freiheitlich und human orientiert ist. Diese Einordnungen müssten Anthroposophen leisten können. Zum Beispiel: Warum war Steiner bezüglich des Zionismus skeptisch? Er wendete sich damals aus guten Gründen gegen einen ethnisch-religiös definierten Nationalstaat, das hatte nichts mit Antisemitismus zu tun! Hier ginge es auch darum, Flagge zu zeigen und nicht nur die „Gegner“ schreiben zu lassen. Anthroposophen müssten „an Deck“ gehen. Eine erste Maßnahme wäre schon, an den entsprechenden Stellen Leserbriefe und Kommentare zu schreiben, dies möglichst kurz und prägnant, sodass die Veröffentlichungschancen steigen. Das wäre ein Anfang, der langfristig seine Wirkung zeigen würde.
Ein weiterer Gesichtspunkt bezog sich auf den „Esoterik-Vorwurf“. Müller sieht diesbezüglich die Anthroposophie noch lange nicht gesellschaftlich angekommen. Die Anthroposophie sei im öffentlichen Diskurs noch eine Randerscheinung, ihre eigentliche Perspektive würde kaum sichtbar. Hinter der anthroposophischen Esoterik verberge sich aber etwas, was mehr sei, das müsse in einer heute verständlichen Form erklärt werden können. Man müsse akzeptieren, dass für Außenstehende manches („Kuhhörner eingraben“) zunächst kurios klingt. So müsste darum gerungen werden, den anthroposophischen Blick auf den Menschen und die Natur verständlich und in seiner Logik plausibel zu machen. Vor allem: Anthroposophie sei nicht für die Anthroposophen, sondern für die Welt da, so Wolfgang Müller. Wenn dieser Zug in die Sache hineinkomme, werde sich alles Mögliche von selbst begradigen.
Dann sprachen wir umfassender über die Anthroposophie-Kritik. Der Journalist sieht hier verschiedene Kategorien. Eine erste würde er als „Verspotten“ beschreiben. Die Inhalte und die Methoden werden verunglimpft. Meistens ohne dezidierte Sachkenntnis, einfach weil sie bestimmten Menschen nicht ins „Weltbild“ passe. Da könne man kaum Argumente finden, diesen Spott zu widerlegen. Eine andere Form zeige sich in der Haltung, Anthroposophie einfach nicht ernst zu nehmen, für rückständig und vormodern zu halten. Dann noch eine weitere, eher psychologische Kategorie, die etwas schwieriger ist: Wolfgang Müller beobachtet bei manchen Kritikern eine Art „progressiven Selbstbeweis“, der sich am geeigneten Gegenüber (hier: der angeblich rassistischen Anthroposophie) der eigenen Fortschrittlichkeit versichern möchte. Nach dieser Lesart gehört Anthroposophie nicht in die aufgeklärte Gesellschaft, sie sei „anti-aufklärerisch“ und „von Gestern“. Auch hier gilt es, die in Wahrheit viel tieferen emanzipatorischen Potenziale der Anthroposophie transparent zu machen.
Wie sehen Sie die öffentlichen Reaktionen der Anthroposophen in der Corona-Zeit? Wo haben wir Verbesserungspotenzial? So lauteten unsere letzten, dezidierten Fragen an Wolfgang Müller. Seiner Ansicht nach zeigte sich die offizielle Anthroposophie (der Verbände zum Beispiel) recht konform mit den öffentlichen Maßnahmen. Dann gebe es einen anderen Strang verschiedenster Mitglieder und Einzelaktivisten, die relativ kritiklos ins Internet abgedriftet seien. Was hier wie dort fehlte: das Bestreben, eine eigene, anthroposophische Perspektive deutlich zu machen. Nicht nur in dem Sinn, dass beispielsweise die Bedeutung der menschlichen Abwehrkräfte deutlich wird (was auch die Schulmedizin weiß), sondern in einer grundsätzlicheren Weise. Das verlange aber mehr als die (richtige) Aussage, dass Viren allgemein zum Leben gehören. Man müsse auch – so schwierig das sei – zu klären versuchen, wo Viren eine spezifische Problematik erzeugen, auf die Antworten gefunden werden müssen.
Als Zukunftsperspektive beschrieb Müller noch eine weitere Denkmöglichkeit: Es braucht insbesondere „starke Köpfe“ aus der Anthroposophie, sagte er, markante Stimmen, die intellektuell ernst genommen werden. In den nächsten fünf bis zehn Jahren müssten sich Personen finden lassen, die öffentlich relevante Positionen artikulieren können. Man müsste diese Menschen auch entsprechend stützen und im Sinne der gemeinsamen Sache „aufbauen“. Es reiche nicht, dass vieles nur „gut gemeint“ in Erscheinung tritt, wenn es nicht „gut gemacht“ sei. In Zeitschriften etwa gehe es auch darum, Autoren mit Format zu finden und zu pflegen. Wenn jemand zum Beispiel ein Buch rezensiert und nur den Inhalt wiedergibt, reicht das nicht, das innere Profil der Sache muss deutlich werden. Mit mehr Systematik und mehr Willen daran arbeiten, das wäre eine mögliche Perspektive. Zusammengefasst: Die anthroposophische Bewegung müsste manches Sektiererische, was noch da ist, ablegen und sich kraftvoll der Welt zuwenden.
Zusammengefasst von Michael Schmock, AGiD Generalsekretär