Qualitäten des Ätherischen
Carolin Schürer berichtet über ihr von der AGiD gefördertes Forschungsprojekt.
Sebastian Knust: Warum haben Sie dieses Thema gewählt, was interessiert Sie daran?
Carolin Schürer: Mein Werdegang durch das Physikstudium führte mich in den Spezialisierungsphasen zu den Themen „Komplexe Systeme und nichtlineare Dynamik“ und „Dynamik der Atmosphäre“. In beiden Bereichen wird versucht, lebendige Zusammenhänge auf komplexe physikalische Wechselwirkungen vieler Einzelelemente zurückzuführen.
Wieder neu in Kontakt mit dem Thema „Leben“ kam ich durch meinen Forschungsaufenthalt an der Naturwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum. Zwar war meine Aufgabe dort mehr mit Statistik und Neurowissenschaften verbunden, doch durch die Geschichte des Glashauses, die Berührung mit dem Goetheanismus und das Interesse an den Wissenschaftlern, die dort lange gewirkt hatten, begegnete mir erneut die Frage nach dem Leben. Seit fast einem Jahrhundert motiviert dort die Suche nach dem „Reagens des Lebens“ viele Forschungsprojekte.
Die dritte und jüngste Motivation, mich eingehender und ganz neu mit dem Thema des Lebens zu beschäftigen, kam durch meine Erlebnisse in der Bewegungskunst Eurythmie. Bei der Beobachtung einer Pflanzenentwicklung, Versuchen mit Samenkörnern oder auch den meisten anderen naturwissenschaftlichen Experimenten bleibt dem Forscher nichts anderes übrig, als die Außenperspektive einzunehmen. Damit kann er immer nur die fertigen Erscheinungsformen betrachten, in deren Abfolge sich das Leben, bspw. das der Pflanzen, offenbart, doch nicht das eigentlich lebendig Wirksame. Durch die Eurythmie kann man aus meiner Sicht eine Art Innenperspektive bzgl. der Aktivität des Lebendigen einnehmen. Denn diese Aktivität und ihre Gesetze durchdringen die Eurythmie und es gibt nur wenige Lebensfelder mit einem größeren Fokus auf den Ätherleib oder Lebensleib als die Eurythmie. Zwar ist es für den wissenschaftlichen Blick sehr schwer, genau zu fassen, wovon die Rede ist, wenn es im „Eurythmie-Jargon“ um den Ätherleib geht (und diese Unklarheit ist für mich eine weitere Forschungsmotivation). Aber es hat doch jeder Eurythmist eigene Erlebnisse in seiner Ausbildung und künstlerischen Tätigkeit, die für das eigene Erleben evident und spezifisch mit diesem Bereich des Lebendigen zusammenhängen.
SK: In welchem Zusammenhang steht das Thema mit der Anthroposophie?
CS: Für mich ist das Thema des Lebendigen und seiner Qualitäten so umfassend und zugleich ungreifbar wie kaum ein anderes Thema innerhalb der Anthroposophie. Einige der anthroposophischen Lebensbereiche wie bspw. Medizin, Landwirtschaft oder Pädagogik arbeiten ununterbrochen mit und an dieser Lebensschicht, eine klare Verständigung darüber, gerade für eine aktuelle Debatte auf wissenschaftlichem Feld, fehlt jedoch sehr häufig. Das führt zu Missverständnissen, Fehlern im Handeln und Problemen in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit, da diesem „ätherischen“ Bereich in der heutigen Wissenschaft oft keine Berechtigung als selbstständige Gesetzmäßigkeit (neben einer physikalischen oder psychischen) zugesprochen wird.
Diese Lebensschicht ist aus meiner jetzigen Perspektive eines der rätselhaftesten Themen der anthroposophischen Menschenkunde überhaupt. Denn sie ist einerseits so nah am Physisch-Irdischen, andererseits so unbewusst und so stark in einer Vermittlerrolle, dass wir kaum die Möglichkeit haben, klare Anhaltspunkte zu ihrer Erforschung zu finden. Sobald man meint, sie gegriffen zu haben, ist genau die Lebendigkeit daran wieder erloschen.
So schwierig es auch sein mag, dieses Thema bewusst zu greifen, so wesentlich erscheint mir ein fundiertes Verständnis davon in der heutigen Zeit für die verschiedensten Lebensbereiche der Anthroposophie und für eine gesunde Kommunikation nach außen, in die allgemeine Gesellschaft.
SK: Haben Sie durch die Beschäftigung mit Ihrem Thema schon interessante Ideen oder Perspektiven gefunden? Möchten Sie eine oder mehrere mit uns teilen?
CS: Durch den eurythmischen Bewegungsansatz, insbesondere in den ausgewählten Übungen für die „Qualitäten des Ätherischen“, entsteht ein anderes Bewusstsein dessen, wie unsere eigene Leiblichkeit in Raum und Zeit steht. Dieses Bewusstsein kann so erlebt werden, dass es den ganzen Menschen ergreift und ihn an seine Umgebung derart anschließt, dass er sich davon nicht mehr (wie im Alltagsbewusstsein) „getrennt“ oder „frei davon“ fühlt. Vielmehr fühlt er sich derart angeschlossen – die eigene Leibesgrenze nicht mehr als „Abgrenzung“ vom Umfeld, sondern als Wahrnehmungsorgan für dieses Umfeld erlebend –, dass die eigenen eurythmischen Bewegungen beinahe nicht mehr einem willkürlichen Eigenwillen entspringen können, sondern immer auf der Grundlage dessen entstehen, dass man einerseits sich selbst als Ganzheit erlebt. Und dass diese Ganzheit erst gerade dadurch empfunden werden kann, dass man sich selbst wahrnehmend an die Umgebung anschließt. Was genau Umgebung ist (bspw. der Umgang mit dem Boden und der Luft, aber auch mit geistig-seelischen Inhalten) und welche technischen Details am und im Leib für diesen Anschluss wichtig sind, wird u. a. in der Arbeit näher erläutert.
In dem vorangegangenen Abschnitt war die Rede vom erweiterten Bewusstsein der eigenen Leiblichkeit in Raum und Zeit. Es gibt auch eine Schattenseite des Bewusstseins (eher unser Alltagsbewusstsein), die bei dieser Forschungsarbeit eine große Herausforderung darstellt. Der Verlust der Unbefangenheit durch ein analysierendes, kritisches Bewusstsein (das wir durch unsere Kulturverhältnisse sehr stark ausgebildet haben) führt zunächst zu einem Herabdämpfen des Lebendigen, zu einem Herausfallen aus der ganzheitlichen Bewegung und zu einem Verlust dessen, was eigentlich der Forschungsgegenstand ist. Auf dem Weg der Erforschung der „Qualitäten des Ätherischen“ begibt man sich in einen Bereich, der durch ein gewöhnliches Erkennen-Wollen bereits seiner natürlichen Existenzform beraubt wird. Denn die natürliche Wirkungsweise des Ätherischen verläuft dankenswerterweise im Unbewussten, und am allerbesten, während wir schlafen und von unserem persönlichen Bewusstsein befreit sind.
Dieses Spannungsfeld zwischen einem synthetischen und einem analytischen Bewusstsein und deren lebensfördernden oder lebenshemmenden Wirkung ist aus meiner Sicht sehr aktuell, auch im Hinblick auf die abnehmenden Lebenskräfte von Natur und Mensch, deren Auswirkungen erst anfänglich gesamtgesellschaftlich zu spüren sind. Durch den eurythmischen Ansatz können die Entdeckungen auf diesem Feld nur schwer abstrakt oder erkenntnistheoretisch bleiben, sondern müssen immer wieder neu in der Praxis aufgesucht und geschaffen werden. Damit ist die Methode mit ihrem Forschungsgegenstand so eng verknüpft, dass man schwerlich „über“ etwas sprechen kann, sondern immer „aus der Sache heraus“. Selbstverständlich gibt es sehr viele andere Herausforderungen, besonders solche, die die Wissenschaftlichkeit betreffen. Dies soll im Abschlussbericht auch ausführlich besprochen werden.