Gemeinsam arbeiten an der Zukunft der Bildung und Ausbildung
Am 13. November hat die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland (AGiD) nach Stuttgart eingeladen zum Fachkolloquium Bildung mit dem Thema „Zukunftsfragen in Bildungs- und Ausbildungsstätten“
Das Kolloquium ist Teil der AGiD-Initiative „CampusBildung“, die schon mehrere Bildungsveranstaltungen durchgeführt hat. Eingeladen waren Vertreter:innen von Einrichtungen aus den Bereichen Waldorfpädagogik, Heilpädagogik, biologisch-dynamische Landwirtschaft, Kleinkindpädagogik, Medizin, Kunst, Eurythmie und Philosophie. Daneben fanden sich auch Menschen aus Freien Bildungsinitiativen und Berufsorientierung ein.
Viele Ausbildungen haben mit stagnierenden oder zurückgehenden Zahlen an Studierenden und Auszubildenden zu kämpfen – Grund genug, ehrlich auf die Möglichkeiten und Herausforderungen dieser für die Zukunft der anthroposophischen Bewegung so lebenswichtigen Einrichtungen zu schauen.
In einer ausführlichen Vorstellungsrunde kamen alle Teilnehmenden zu Wort und trugen bei zum Thema „Gesamtgesellschaftliche Herausforderungen und Veränderungen im Umgang mit den Ausbildungen“. So wurde bemerkt, dass der Abgrenzungsdruck gegenüber verschiedenen Ideen Rudolf Steiners größer geworden ist. Bei der Frage nach der Vermittlung von Anthroposophie besteht oft eine geringere Bereitschaft, die Ideen gedanklich aufzunehmen – es sei denn, sie sind durch eigene Erfahrungen und Beobachtung vorher „angelegt“ worden. Ein „barrierefreier Zugang“ für den Kursbetrieb durch leichte Sekundärliteratur zu anthroposophischen Ideen wurde gefordert. Eine weitere Herausforderung stellt vielerorts die sog. Corona-Delle dar, also der plötzliche Rückgang an Studierenden und Auszubildenden, von denen sich die Einrichtungen nur langsam wieder erholen.
Auch bei den Bildungsempfängern wurden größere Änderungen wahrgenommen. So könne Unterricht nur noch „von Ich zu Ich“ stattfinden und weniger programmatisch. Die Pendelbewegungen zwischen Mitbestimmung beim Unterricht und das „Leiten-Lassen“ durch das Curriculum wurden thematisiert, ebenso die Überwindung der „Kluft“ zwischen intellektuellem Verständnis und der Praxis. Grundsätzlich zeigt sich eine schwindende seelische und körperliche Belastbarkeit und der Umgang damit blieb als größere Frage im Raum stehen. Weitere Teilnehmenden-Voten befinden sich am Ende des Textes.
Neben den Herausforderungen haben sich auch mehrere Initiativen vorgestellt, die zukünftige Ansätze verfolgen. So wurde z. B. von der Landbauschule am Bodensee berichtet, wo nach einem Jahr intensiver goetheanistischer Beobachtung die angehenden Landwirte mit großem Verständnis den anthroposophischen Ideen begegnen können, oder von der Waldorflehrerausbildung in Jena, hier u. a., dass der Übergang vom Studium in den Beruf überaus erfolgreich ist. Nicht zuletzt wurde ein Onlinestudium der Philosophie der Freiheit vorgestellt, das auf rege Nachfrage stößt.
Ein Ansatz der Begegnung von rückgängigen Studierenden- und Auszubildendenzahlen ist das von der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland durchgeführte „Bildungs-Festival 2024“ an Pfingsten 2024 in Schloss Hamborn. Dort sollen junge Interessierte auf Ausbildungen und Firmen mit einem sinnvollen Berufsangebot stoßen und in lockerer und vertrauensvoller Festivalatmosphäre weitere biografische Perspektiven verfolgen. Die Vorstellung der Vorhaben stieß auf allseitige Zustimmung. Mehr Infos finden sich unter www.bildungs-festival.de.
Die Feedbackrunde dieses Kolloquiums offenbarte einen allseitigen Willen zur Kontinuität. Der gegenseitige Austausch unter Kolleg:innen wurde als große Bereicherung empfunden. Es geht nicht darum, Patentrezepte zu implementieren, sondern sich kollegial auf der Suche nach neuen, innovativen und sinnvollen Bildungswegen nach vorne zu tasten.
Sebastian Knust | AGiD, Kommunikation, Projektentwicklung
TEILNEHMENDEN-VOTEN
Dr. Simone Helmle | Freie Landbauschule Bodensee e. V.
Projektleiterin und Entwicklung des Meisterkurses „Resiliente Unternehmensführung“
Was sind unsere Herausforderungen im Projekt Biodynamischer Meisterkurs „Resiliente Unternehmensführung“? Nach der ersten Reifezeit der Projektidee – viel Denken und Ins-Tun-Kommen mit Curriculum, Fachprofilen, Grundgesten, Kollegium – sind wir im Januar 2023 mit einer ersten Gruppe zukünftiger Meister:innen gestartet. Unsere aktuellen Fragen sind: innere Strahlkraft und äußeres Tun, Tempowechsel zwischen extrem langsam und mitbekommen, was ist, und sich selbst mitnehmen und zugleich zwischen dem Wunsch nach Input und maximaler Geschwindigkeit, Balance finden von Erkenntnisarbeit und Informationsbedarfen und die Frage „Was gibt Halt für einen eigenen Weg in einem Empfinden von Haltlosigkeit“. Was uns dabei trägt, ist die Geste „Du bist gemeint, Entwicklung ist etwas Individuelles“ sowie die einladende Frage „Magst du dich zusammen mit uns auf den Weg machen?“. Ja, und das ist ein Weg, der Leitmotive hat, der sich aber auch im Gehen erst erschließt, öffnet und formt. Leichtes Gepäck dabeizuhaben, ist empfehlenswert für dieses Abenteuer.
Sara Hamm | Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e. V.
Pädagogische Leitung
Wir begegnen in unserer pädagogischen Arbeit der Herausforderung, dass die Drittmittelgeber sehr viel Wert auf die Vorbereitung des Freiwilligendienstes legen, wir allerdings gerne vor allem einen Schwerpunkt auf die Begleitung von gemachten Erfahrungen legen würden.
Mit Blick auf die Vorbereitungsseminare, die wir durchführen und in denen wir zehn Tage mit den jungen Schulabsolvent:innen arbeiten dürfen, bewegt uns die Frage, wie wir ein holistisches Weltbild fördern können, sodass die jungen Menschen sich in die Welt stellen mit dem Gefühl und der Überzeugung, dass alles mit allem zusammenhängt. Uns ist ebenfalls wichtig, dass sie nicht nur kognitiv, sondern auf vielen Ebenen erleben, dass es auf sie ankommt und dass ihr Sein Auswirkungen auf die Welt hat.
Das dritte große Thema, das uns gerade beschäftigt, beobachten wir in der Begleitung der Seminarleitungen. Wir nehmen hier Schwierigkeiten wahr, die verinnerlichte Vorbereitung loszulassen und auf die Teilnehmer:innen zu schauen. Deswegen forschen wir daran, wie wir stärken und unterstützen können, damit diese in der pädagogischen Arbeit grundlegende Kompetenz gefördert werden kann.
Sonja Zausch | Anthropoi Bundesverband
Koordinatorin Fachbereich Bildung, Kampagne #vomFachzurKraft
Anthroposophie – an den staatlich anerkannten heilpädagogischen und sozialtherapeutischen Ausbildungsorten – wird sehr unterschiedlich unterrichtet. Grundsätzlich wird nach der „trialen Methode“ Kunst-Theorie-Praxistransfer gearbeitet. Der Fachkräftemangel ist in diesem Berufsbild riesig, daher suchen wir als Bildungsorte nach sehr unterschiedlichen Formen, wie wir anschlussfähig und interessant sein können. Wir haben eine steigende Nachfrage an Inhouse-Schulungen in unseren Mitgliedsorganisationen, d. h., ein Bildungsort verlagert sich direkt in die Zusammenarbeit der Menschen in den Organisationen. Das ist als Wertschätzung und Interesse an den Mitarbeiter:innen zu erleben. Und wir motivieren und fördern inklusive Bildungsmomente mit Mitarbeitenden und unseren Klient:innen – das ist die spirituelle Krönung. Dann geht die Gemeinschaft im Vertrauen einen Prozess mit anthroposophischen Inhalten, die sich aus ihren Interessen und Inspirationen gestalten.
Dr. Karin Michael | Leiterin der Medizinischen Sektion am Goetheanum und des Von-Tessin-Zentrums in Stuttgart
Was mich für die Bildung und Bildungsorte der Zukunft als Kinder- und Jugendärztin am meisten beschäftigt, sind Fragen der Gesundheit und Lebenskräfte. Wie kann Bildung zugleich lehrreich, gesundend, motivierend und stärkend wirken? Wie entstehen echte Fähigkeiten nicht nur für kognitive Leistungen, sondern auch für den souveränen Umgang mit heutigen Schicksals- und Kulturaufgaben? Wir erleben heute einen Niedergang psychischer und körperlicher Gesundheit und Lebensenergie schon im Kindes- und Jugendalter. Das ruft regelrecht nach einer neuen Bildungskultur!
Marc Vereeck | Frei schaffender Künstler
Am meisten wird gelernt durch Begegnung, wo Bildung aus dem eigenen Willen und aus Fragen der „Generation Z“ sich selbst bildet. Zugleich entsteht heute immer mehr ein Bedürfnis nach Kulturoasen, nach großen Lebensgemeinschaften, wo Mensch-Werdung und eine sozial dreigliedrige Gesellschaft aus sich heraus Erfahrung wird. Darin spielen Kunst und geistige sowie praktische Arbeit an der Erde eine entscheidende Rolle. Hier können die zukunftsgerechten Ausbildungsstätten entstehen, mit einer intrinsischen Berufs- und Wirtschaftsethik.
Mona Lenzen Abouleish | Heliopolis University, Ägypten
Was bedeutet: BILDUNG BRAUCHT BEZIEHUNG? Es ist für mich die Suche, wie ich mich öffnen kann für eine Begegnung vom ICH zum ICH? Kann ich mit meiner Begeisterung andere Menschen berühren? Wie lebe und gestalte ich die Tatsache, dass „Lehrende zugleich Lernende sind und Lernende zugleich Lehrende“?
Niemand kann euch etwas eröffnen,
das nicht schon im Dämmern
eures Wissens schlummert.
Der Lehrer, der zwischen seinen Jüngern im
Schatten des Tempels umhergeht, gibt nicht von
seiner Weisheit, sondern eher von seinem
Glauben und seiner Liebe.
Wenn er wirklich weise ist, fordert er euch nicht auf,
ins Haus seiner Weisheit einzutreten, sondern
führt euch an die Schwelle eures eigenen Geistes …
Denn die Einsicht eines Menschen
verleiht ihre Flügel keinem anderen.
Und wie jeder von euch allein in Gottes Wissen steht,
so muss jeder von euch allein in seinem Wissen von
Gott und seinem Verständnis der Erde sein.
Khalil Gibran