Wie weit reichen unsere Geistesgegenwart und unser Mut?
Am Dottenfelderhof, der seit 1968 bei Bad Vilbel biologisch-dynamisch wirtschaftet, fand am 1. und 2. Oktober 2022 der Versuch eines neuen Michael-Festes der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland statt.
Der neue Versuch: kaum Programm, alles aus der Geistesgegenwart schaffen. Doch zunächst erhielten alle Teilnehmenden eisen- und schwefelhaltiges Mineralwasser aus dem Brunnen des Hofgeländes. Dies half uns, am Ort ganz anzukommen. Anschließend begann die Zusammenkunft mit Improvisationen auf Klanginstrumenten (Petra Ziebig), Leier (Thomas Leins) und Cello (Marcus Gerhardts).
Für die folgenden zwei Einheiten teilten sich die rund 75 Teilnehmenden in sechs Arbeitsgruppen auf. Verschiedene Aspekte Michaels wurden gedanklich, durch Eurythmieformen, gestaltete Sprache, Farben, Klänge und Wahrnehmungen in der Natur bewegt: Michael mit der Waage, als Drachenkämpfer, als Geist der Freiheit, mit schweigsamem Ernst, mit Wegweisern und als Energiespender für unsere Ätherleiber.
Die intensive Vorbereitung in den Gruppen war am Abend beim Fest-Versuch zu bemerken. Wir saßen in Kreisen um eine abstrakte Stahlplastik von Joachim Kreutz. Beiträge von einzelnen oder aus den Gruppen, in Sprache, Gedankenform, Musik, Bewegung „perlten“ in die Runde, immer im pendelnd zwischen dem Erlebnis im Raum und dem inneren Nachhall, immer authentisch. Die Eurythmistin Jona Lindermayer setzte in Bewegungsgesten um, was sie hörte, sah, empfand. Aus der Stille, der Ratlosigkeit, dem Zaudern entstanden kraftvolle Äußerungen und große Klänge. Auch der Humor hatte seinen Platz. Vereint waren alle in der Anstrengung, ein stimmiges Fest zu gestalten.
Der Sonntag begann mit hohem Anspruch: sich Michael als Zeitgeist in einer ihm zugewandten Sprache zu nähern. Worte Rudolf Steiners, eigene Gedichte, Texte, ja Anrufe an Michael, neue Gedanken vom heutigen Morgen, Erlebnisse in Bildern, eine lange, lebendige Gedankenbewegung, gemeinsame Bewegung und Singen – alles erhielt seinen Platz, zeigte die Verschiedenheit der Anwesenden. Es entstand Dichte, Intensität, mutiges Sprechen, aber kein zusammenführendes Hinwenden zu Michael.
Demgegenüber war das Abschlussritual (Rosina Breyer) aus einem Guss geformt. Die Beziehungen und Bewegungen der vier Erzengel im Jahreslauf erschienen im Raum und durch die Bewegungen von vier Eurythmistinnen, denen sich jeweils eine Teilnehmergruppe zugesellte. So konnte der Versuch, in Gemeinsamkeit ein Michaelfest zu feiern, in besonderer Dichte und Präsenz abgerundet werden.
Die Gelegenheit, das aus 287 Metern Tiefe hoch heraufsprudelnde Mineralwasser direkt am Brunnen zu sehen und zu schmecken, fachgerecht begleitet, nahmen noch etwa 15 Teilnehmende dankbar wahr.
Barbara Messmer | Arbeitszentrum Frankfurt