Corona – was lernen wir aus der Krise?
Ein Rückblick auf den Thementag der AGiD in Dortmund
Was uns mit allen Veranstaltungen rund um 100 Jahren Anthroposophische Medizin nicht ansatzweise gelungen wäre, hat nun die Covid-19-Pandemie erreicht: Unsere menschliche Gesundheit steht in diesem Jahr so global im Fokus, wie es wohl historisch noch nie der der Fall war. Auf der ganzen Welt fragen sich Menschen: Wie steht es um unsere individuelle und gesellschaftliche Konstitution? Wie umfassend und effektiv arbeitet unser Gesundheitssystem? Und was ist eigentlich unser Bild von Krankheit, wie wollen wir damit umgehen?
Dass wir im anthroposophischen Kontext mit einem deutlich erweiterten Bild von menschlicher Gesundheit arbeiten, war von Beginn an der Grundgedanke Anthroposophischer Medizin. Das wurde auch auf dem Thementag der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland am 5. September 2020 mit dem Schwerpunkt „Corona – Was lernen wir aus der Krise?“ wieder sehr deutlich. Im großen Saal der Dortmunder Waldorfschule verteilten sich 150 Teilnehmende – ein im Vergleich zu den Anfragen geringe Zahl. Aber weitere Menschen ließen die coronabedingten Hygieneregeln nicht zu.
Dr. Thomas Hardtmuth (Duale Hochschule Baden Württemberg) stellte zu Beginn die Frage, warum wir in der herkömmlichen Medizin lediglich auf die „bösen“ Viren starren – wo doch mindestens genauso wichtig unser immunologisches und gesellschaftliches Umfeld sind. Auf welche persönliche und kollektive Konstitution treffen die „Erreger“? Besitzen wir z.B. genügend „Autonomie-Sphäre“, damit ein Erreger nicht einfach so überspringen kann? In welchem Zustand befindet sich die Zivilgesellschaft – ein Indikator gesellschaftlicher „Gesundheit“?
Dr. Michaela Glöckler (ehemalige Leiterin Medizinische Sektion, Goetheanum) knüpfte an und stellte fest, dass die Schuld an einer Krankheit in der Regel bei dem Virus gesucht wird. Gleichberechtigt müsse man aber auch fragen: Ist das Immunsystem schuld oder liegt es vielleicht an zu vielen negativen Gefühlen? Mangelt es uns an Ich-Stärke oder ist es einfach für uns „an der Zeit“ krank zu werden? Nur wenn wir ganzheitlich all diese Ebenen mit einbeziehen, kann eine realistische Diagnose gestellt werden, so Glöckler.
Nachmittags berichtete Dr. Christian Scheffer (Universität Witten-Herdecke) von den erfolgreichen Versuchen, mit Hilfe der Unterstützung junger Ärzte ein vertrauensvolleres Verhältnis zwischen Ärztend und Patienten herzustellen – und so zu einem nachhaltigeren Genesungsprozess beizutragen. Dr. Stefan Schmidt Troschke (ehemals Leitung Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, jetzt Verein Gesundheit Aktiv) berichtete von politischen Ansätzen, den Patienten gesetzlich mehr Mitspracherecht bei der Wahl ihrer Behandlung einzuräumen. Zuletzt stellte Gerald Häfner (Sozialwissenschaftliche Sektion, Goetheanum) die Corona-Krise in den Kontext sich insgesamt zuspitzender globaler Krisen im Hinblick auf Klima, Armut, Wirtschaft, Flüchtlinge oder gesellschaftlicher Polarisierung. Ihnen allen ist ein Verlust an menschlichem und natürlichem Zusammenhang gemein: „Wir haben die Welt nach kalten Gedanken eingerichtet und bekämpfen uns durch überschnelle und vernichtende Urteile, die polarisieren.“ Seine Grundfrage lautet daher: „Wie können wir uns wirklich verständigen und wieder zusammenfinden?“
Untermalt wurden die Beiträge von dem Trio um Andreas Delor, die mit selbstgebauten Instrumenten teils fremd-sphärische und dann wieder irdisch-nahe Klangwelten aufbauten.
Ein herzlicher Dank geht neben den Referierenden auch an die Organisierenden des Thementags, die trotz diverser Hygieneauflagen für eine menschlich-zugewandte Grundstimmung sorgten. Dieser Umstand beinhaltet vielleicht auch die wichtigste Antwort auf die Frage, was wir aus der Krise lernen: Es ist fundamental wichtig, dass wir trotz all der materialistisch Denk- und Handlungsmuster, trotz der nötigen gesellschaftlichen Distanz die eigene und zwischenmenschliche Wärme und den Willen zum gemeinsamen Lernen, Arbeiten und Leben weiter intensiv pflegen und stärken!
Sebastian Knust | AGiD, Öffentlchkeitsarbeit