Dumme Metaphysik gefährdet Demokratie
Zur Tagung ›Esoterik und Demokratie. Ein Spannungsverhältnis‹ der Bundeszentrale für politische Bildung am 5. und 6. September 2022. Ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift DieDrei.
Professionell! Die Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung (›bpb‹) im ›Hotel Esperanto‹ in Fulda Anfang September 2022 bot ein umfangreiches Programm zum Thema ›Esoterik und Demokratie – Ein Spannungsverhältnis‹. Doch drängt sich die Frage auf, warum sich eine nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern gerade mit diesem Thema befasste.
Laut Vorankündigung bestand die Problemstellung darin, dass sich im Rechtsextremismus »esoterische Weltbilder mit Reichsbürgerideologie, Antisemitismus und völkischen Überlegenheitsfantasien« vermischen. Und: »Esoterisch grundierte Wissenschaftsfeindlichkeit versucht, politische Entscheidungen zu delegitimieren und bringt mitunter – wenn es z. B. um Medizin geht – Menschenleben in Gefahr.«[1]
Auf der Tagung wurde ergänzend erläutert, dass im Zuge der Corona-Demonstrationen verschiedene Akteure das Protestgeschehen gegen die Schutzmaßnahmen instrumentalisiert hätten, um losgelöst von jeder sachbezogenen Kritik eine grundsätzlich verfassungsfeindliche Agenda zu verfolgen. Daher habe das Bundesamt für Verfassungsschutz bereits 2021 den Phänomenbereich »Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates« definiert, um besser gegen solche Akteure vorgehen zu können.[2] In diesem Kontext wollte nun die ›bpb‹ eine Debatte anstoßen und hatte hierfür einige Experten nach Fulda eingeladen.
In seinem einleitenden Vortrag ›Was ist Esoterik und wer ist esoterisch?‹[3] entwickelte Prof. Dr. Wouter Hanegraaff, einer der prominentesten Esoterik-Forscher weltweit, allerdings eine andere Perspektive: Esoterik sei eine Art »Black Box«. Diese sei angefüllt mit Inhalten, Themen, Praktiken und Entwicklungsperspektiven, die im Laufe der Geschichte sukzessive aus dem Kanon der monotheistischen Religionslehren oder den jeweils gültigen wissenschaftlichen Paradigmen herausgefallen seien: »Was ist ›Esoterik‹? Nun – in einem sehr realen Sinne gibt es so etwas nicht! Damit will ich sagen, dass ›Esoterik‹ nichts ist, was Ihnen in der Welt um uns herum jemals begegnen wird. Sie werden sie immer nur in unseren Diskussionen über das, was in der Welt um uns herum geschieht, finden, also in unserem Diskurs und in unserer kollektiven Vorstellung. Was also ist Esoterik? Zunächst einmal ist zu betonen, dass es nur ein Wort ist – nicht mehr als das. Vielleicht etwas präziser ausgedrückt, ist ›Esoterik‹ ein Oberbegriff oder ein Etikett - wie ein Aufkleber, den man auf eine Schachtel klebt.«[4]
Mit Blick auf die deutschsprachige Esoterik- Debatte hielt er fest: »Dieses Zitat [Okkultismus sei die »Metaphysik der dummen Kerle«] ist ein ganz typisches Beispiel für das oben beschriebene Muster ›interner‹ eurozentrischer Vorurteile. Besonders im deutschsprachigen Raum nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Autorität der sogenannten Kritischen Theorie, die mit der Frankfurter Schule verbunden ist, eine mächtige, aber meiner festen Überzeugung nach äußerst fragwürdige und größtenteils negative Rolle gespielt, indem sie den Versuch, die Esoterik zu einem ernsthaften Thema der kritischen und historischen akademischen Forschung zu machen, delegitimiert, diskreditiert und in Verdacht gebracht hat.«
Zu Recht verwies Hanegraaff auf eurozentrische Vorurteile wie Magie vs. Verstand, oder Mythos vs. Logos, die bei Max Weber vorzufinden sind und auf der Grundlage eines einseitig kritischen Denkens über Max Horkheimer und Theodor W. Adorno hin zu Georg Lukács, Esoterik delegitimieren, diskreditieren und öffentlich verdächtigen. In Georg Lukács ›Die Zerstörung der Vernunft‹ (1954), werde eine radikale Intention sichtbar, die darin bestünde, »zu behaupten, dass der Fortschritt der ›Vernunft‹ nur zum Marxismus führen kann, während die ›Unvernunft‹ in all ihren Formen (ob philosophisch oder esoterisch) unweigerlich zum Faschismus und Antisemitismus führen muss.« Eine aus historischer Perspektive simplifizierende Argumentationsfigur, die in den letzten Jahren öffentlichkeitswirksam u.a. von den sogenannten »Skeptikern« verbreitet und in zahlreichen Publikationen unkritisch übernommen wurde.
Problemfall »rechte Esoterik«
In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Claudia Barth, die in der Vergangenheit empirisch an sozialpsychologischen Einstellungen von Esoterikern geforscht hat und in ihrem Vortrag eine an Antoine Faivre angelehnte sowie mit eigenen Vorurteilen versetzte Definition von Esoterik ins Spiel brachte, wehrte sich Hanegraaff mit aller Deutlichkeit dagegen, die Theosophie von Helena P. Blavatsky als pauschal rassistisch abzukanzeln. So sei die Theosophische Gesellschaft allen Menschen offen gestanden, unabhängig von seinem Geschlecht, Glaube und Herkunft. Zudem hätte in der damaligen Zeit fast jeder über Rassen nachgedacht. Aus der Beschäftigung mit dem Thema der Rassen allein sei daher nicht automatisch ein Rassismus abzuleiten. Diese Neigung ist im deutschsprachigen Raum aus historischen Gründen verständlich, erfordert aber eine höhere Differenzierungsleistung. Im Grunde genommen gilt das auch für den Rassismus-Vorwurf gegenüber Rudolf Steiner.
Ein weiterer Schwerpunkt, die sogenannte »rechte Esoterik«, wurde auf den Podien prominent durch Matthias Pöhlmann und das ›Center für Monitoring, Analyse und Strategie‹ (CeMAS) vertreten. Der Theologe und Sektenbeauftragte forscht und publiziert schon länger zu diesem Themenspektrum. Sein letztes Buch ›Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen‹ (Freiburg 2021) beinhaltet eine Fülle an Fakten – darunter auch ein Kapitel zur Anthroposophie. Als konkrete Beispiele für die Vermengung von Esoterik und demokratiegefährdenden Bestrebungen im rechtsextremen Spektrum dienen ihm u.a. ›QAnon‹ sowie die Anastasia-Bewegung. Die digitale Sekte ›QAnon‹ geht zwar nicht auf esoterisches Gedankengut zurück, bemächtigt sich aber zunehmend entsprechender Motive, wenn etwa Donald Trump als Gesandter des Erzengels Michael dargestellt wird. Die neopaganistische Anastasia-Bewegung findet hingegen ihren Ursprung in den Inspirationen einer Frau, die sie dem Autor Wladimir Megre mitgeteilt hat. Für beide Gruppierungen sind verschwörungsideologische, rassistische und antisemitische Überzeugungen konstitutiv.
Naturgemäß war die anschließende Diskussion über die Gefährlichkeit der Esoterik stark von digitalen Fallbeispielen geprägt. Digitale Kanäle, wie ›Facebook‹, ›Twitter‹, ›Instagram‹ und ›Telegram‹ haben ihre Vernetzungsdichte massiv erhöht und bieten nun aufeinander abgestimmte Verlinkungsmöglichkeiten, sodass es für Nutzer ein Leichtes ist, sich in zirkulären und selbstreferenziellen Informationsblasen zu bewegen. Die Recherchen von CeMAS machen deutlich, dass die Unterbeschäftigung während der ersten Monate der Pandemie dieses Phänomen deutlich verschärft hat. Zudem wird klar, dass zumindest im digitalen Bereich die Informationsblasen der konsum-esoterischen und die der rechtsextremistischen, völkischen oder verschwörungstheoretischen Angebote unter Umständen sehr nahe beieinanderliegen. Ein betrübliches Beispiel dafür ist der Telegram- Kanal ›Waldorfschule Rudolf Steiner‹.[5]
So interessant und aufschlussreich diese Diskussion auch war, krankte sie dennoch – wie von Hanegraaff beschrieben – an einem reduzierten Esoterik-Begriff. Beispielsweise mit der Frage konfrontiert, ob die Kirchen mit ihren irrationalen Praktiken wie Heiligsprechungen nicht auch einen Anteil an der Verbreitung nicht wissenschaftlicher und irrationaler Ansichten habe, antwortete Pöhlmann sinngemäß: Die Heiligsprechung selbst sei tatsächlich nicht rational erklärbar, doch erfolge die Auswahl der Person nach äußerst rationalen Kriterien.
Zudem wurde in der Debatte die Wirkung der eigenen Perspektive systematisch ausgeblendet. Viel wichtiger wäre es aber, wie Oliver Nachtwey in seiner Studie über die Querdenker- Proteste festgehalten hat, »die Kritiker:innen der Corona-Maßnahmen nicht einfach zu pathologisieren. Das ist zwar verführerisch und entlastend, hilft aber nicht wirklich weiter. Für den Soziologen Niklas Luhmann nahmen Proteste und soziale Bewegungen die Rolle des ›Immunsystems‹ der Gesellschaft ein, das die Selbsterhaltung der Gesellschaft sichere. Man könnte allerdings auch die Perspektive umdrehen und – statt nur einen Umgang mit den existierenden Bewegungen zu suchen – einen Prozess der gesellschaftlichen Selbstreflexion beginnen und fragen: Was für eine Gesellschaft bringt derartige Bewegungen hervor, was sind ihre strukturellen Voraussetzungen?«[6]
Auf das Thema Esoterik übertragen hieße das, diese nicht nur als irrational und wissenschaftsfeindlich abzutun, sondern zumindest ihre argumentativen und philosophischen Wurzeln als ein »Immunsystem« des jeweils aktuellen Herrschaftswissens zu begreifen.
Hanegraaff hatte zum Problem der »rechten Esoterik« in seinem Vortrag angemerkt, »dass diese Phänomene nicht durch irgendetwas verursacht werden, das als ›an sich esoterisch‹ angesehen werden könnte. Mit anderen Worten, es ist nicht ›wegen ihrer esoterischen Ideen‹, dass sich diese Menschen nach rechts und gegen ›die Eliten‹ wenden. Vielmehr sollten diese Protestbewegungen als Symptome einer tiefen Krise der liberalen Demokratie betrachtet werden. « Er habe deshalb »vorgeschlagen, dass diese Krise im Wesentlichen durch den historischen Prozess der Neoliberalisierung (und der neoliberalen Globalisierung) verursacht wird, der sich seit den 1980er Jahren entfaltet hat und seit der Finanzkrise von 2009 zunehmend außer Kontrolle gerät.«[7]
Im Nachgang zur Tagung wurde Hanegraaff auf ›Facebook‹ das Buch von Katharina Nocun und Pia Lamberty: ›Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik‹ (Köln 2022) empfohlen. Sein Interesse war angesichts der darin zu erwartenden Stereotypen gering.[8]
Zu Recht, denn Nocun und Lamberty, deren Steckenpferd es ist, jede scheinbar pseudo-wissenschaftliche Praxis zu kritisieren, tun dies in Unkenntnis langjähriger und qualitativ hochwertiger Forschung. Hier wird Kritik selbst zu dem, was sie treffen will.[9]
Matthias Niedermann, *1984, ausgebildeter Heilpädagoge, studierte Philosophie, Kulturreflexion und kulturelle Praxis in Witten-Herdecke, seither tätig in diversen Projekten der AGiD.
[1]www.bpb.de/veranstaltungen/veranstaltungskalender/508586/esoterik-und-demokratie
[2] Vgl. www.verfassungsschutz.de/DE/themen/verfassungsschutzrelevante-delegitimierung-des-staates/verfassungsschutzrelevante-delegitimierung-desstaates_node.html
[3]www.bpb.de/mediathek/video/513556/vortrag-was-ist-esoterik-und-wer-ist-esoterisch
[4] Die Übersetzung orientiert sich hier und im Folgenden an https://wouterjhanegraaff.blogspot.com/2022/10/esotericism-and-democracy-some.html
[5] Vgl. https://t.me/proWaldorfschule
[6] Oliver Nachtwey, Robert Schäfer & Nadine Frei: ›Politische Soziologie der Corona-Proteste‹, Basel 2020, S. 63 – https://doi.org/10.31235/osf.io/zyp3f
[7] Siehe Anm. 4.
[8]www.facebook.com/wjhanegraaff/posts/10222127050069515
[9] Zu diesem Buch sowie zur hier besprochenen Tagung der ›bpb‹ vgl. Jens Heisterkamp: ›»Gefährliche« Esoterik?‹ – https://info3-verlag.de/zeitschrift-info3/dezember-2022/gefaehrliche-esoterik/