Teilen und Fortschreiten
Ita-Wegman-Kongress von Frauen mit Frauen für alle
Vom 21. bis 23. Oktober 2022 hat der Kongress „Ita Wegman - freier - weiblicher - fortschreiten“ der „Gesellschaft Anthroposophischer Ärztinnen und Ärzte“ in der Freien Waldorfschule Kassel stattgefunden. Etwa 150 Frauen aus Heilberufen – Ärztinnen, Krankenschwestern, Therapeutinnen, Hebammen, Apothekerinnen – aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie drei Ärzte nahmen teil. Nur zu Frauenthemen oder von Frauen gab es Workshops, Vorträge, Plena und Begleitveranstaltungen (Singen, Bewegen nach „Spacial dynamics“, Meditation). Als Besonderheiten: gemeinsames Frühstück, das Weben aller an einem Teppich, spätabends Musik und Tanz oder „Open Space-Bühne“.
Margarete Kokocinski (Pädagogische Akademie Mannheim) und ich waren als Vertreterinnen des Frauenrats der Anthroposophischen Gesellschaft für einen Workshop und ein Podiumsgespräch eingeladen. Thema „Weibliche Qualitäten als Zukunftsfaktoren“. Künftig würden wir ja gerne diese Qualitäten mit der Individualität, nicht primär mit dem Geschlecht verbunden sehen, aber derzeit finden wir sie in dem, was Frauen eher besser können. Zum Beispiel wie Ursula Hirt und die zehn Frauen im Team sehr sorgfältig, aber immer zugewandt über 30 Workshops mit über 40 Mitwirkenden vorbereiteten. Wie Astrid Sterner („Ita Wegmans Wirksamkeit“), Anne Katharina Zschocke („Friedliche Koexistenz“ bei Bakterien) und Silke Schwarz („Frausein und Muttersein in der Anthroposophischen Medizin“) wissenschaftlich kompetent, aber ganz unprätentiös vortrugen. Wie die Forscherin Fanny Hesse (1850-1934) spontan mit anhaltendem, stehendem Applaus des ganzen Saales geehrt wurde, nachdem Frau Zschocke berichtet hatte, dass Robert Koch Fanny Hesses Entdeckung als seine veröffentlicht hatte.
Bei den Workshops ging es den Leiterinnen nicht um Belehrung oder Profilierung, sondern um das Teilen von Wissen und Erfahrung. Als Themen waren angeboten: Wissenschaftsfragen, Wege zum „Urweiblichen“, Gleichstellung, Geschlechterentstehung in der Embryologie, weibliche Führung, Pionierinnen im Landbau und vieles mehr. Für die Verarbeitung emotionaler und sexueller Gewalt fand ein Ritual statt, bei dem Niederschriften von Gewalt-Erlebnissen im Freien verbrannt wurden. Die ganze Tagung durchzog ein integrierender Stil, ohne zu vereinnahmen oder Konturen zu verwischen. Wenn Bühnenscheinwerfer und Mikrofone nicht funktionierten, rückten alle scherzend nahe an die Bühne heran.
Beim ersten Podiumsgespräch, sachkundig moderiert von Sylvia Stracke, kamen Frauen als Unternehmerinnen zu Wort: die Inhaberin einer Apotheke oder die Gründerin eines ambulanten Dienstes. Beim zweiten Podium, als es um „weibliche Zukunftsqualitäten“ ging, denen Tatjana Mijic durch geschickte Fragen auf der Spur blieb, entstand auf der Bühne ein lebhafter Disput, der die schnell vorhandene monologische Steifheit durchkreuzte. Zum Abschluss prangte der farbenfrohe, runde Kongressteppich auf der Bühne wie ein Sinnbild für die ganze Tagung als Gemeinschaftswerk. Und im Nu hatten am Ende viele Frauen die Klassenräume wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt.
Barbara Messmer | AGiD, Arbeitszentrum Frankfurt