Für den Abbau von Feindbildern – Eine Klarstellung
Anfang November 2022 wurde der unten beigefügte Text, an die Heinrich-Böll-Stiftung und Petra-Kelly-Stiftung zugesendet. Da mittlerweile mehrere Zeitungsartikel dieses Schreiben einseitig zitieren, stellen wir nun den gesamten Wortlaut der Öffentlichkeit zur Verfügung.
An:
Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg e.V.
Petra-Kelly-Stiftung – Bayerisches Bildungswerk für Demokratie und Ökologie in der Heinrich-Böll-Stiftung e.V.
Stuttgart, den 30. Oktober 2022
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Datum von 26. Oktober 2022 präsentieren Sie auf der Website Ihrer Stiftungen einen Podcast mit dem Journalisten Dr. Krauss über den Zusammenhang von Querdenkern und Anthroposophen. Der Beitrag läuft auf die nachweislich falsche sowie diffamierende Behauptung von Dr. Krauss hinaus, es handle sich bei der Anthroposophie um eine menschenfeindliche Ideologie.
Mit welchen Belegen? Besonders falsch, diffamierend und perfide ist die Aussage von Dr. Krauss über die anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie mit ihren mehr als 200 Einrichtungen in Deutschland. Zitat: "Man muss sich vorstellen, es gibt Behinderteneinrichtung, anthroposophische Behinderteneinrichtungen, die betrachten Behinderung als eine Strafe von Fehlverhalten aus dem letzten Leben.“ Dr. Krauss führt diese Behauptung ohne Nennung von Belegen an und unterstellt, hier würden Menschen mit Behinderung so betrachtet, als werde ihre Behinderung als „Strafe“ für ihr Karma angesehen. Eine Aussage die sich nirgends belegen lässt. Seine Schlussfolgerung: „Also das ist so eine menschenfeindliche Ideologie und dass man solchen Leuten offiziell die Betreuung von gehandicapten Menschen übergibt, das finde ich einfach fahrlässig.“ entbehrt daher jeder sachlichen Grundlage.
Mit der Weiterverbreitung einer solchen, und mit einer einfachen Recherche leicht zu widerlegenden Behauptung, tragen die Heinrich-Böll- sowie die Petra-Kelly-Stiftung dazu bei, dass das Engagement sowie der ethische Kompass von tausenden von Mitarbeiter:innen in eben diesen Einrichtungen in ein falsches Licht gerückt werden, deren engagierte Arbeit oft von den betroffenen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen und nicht zuletzt auch von deren Eltern wertgeschätzt wird.
Ebenso wahrheitswidrig ist auch die Unterstellung von Dr. Krauss, anthroposophische Mediziner:innen würden unter Berufung auf ein fatalistisches Karma-Denken wissenschaftlich gebotene Maßnahmen unterlassen.
Insinuierend und sachlich falsch ist ebenfalls die Aussage: „… Der [gemeint ist der Waldorf-Verband Bund der Freien Waldorfschulen] muss schon auch die Masern-Impfpflicht durchsetzen, obwohl das eigentlich gegen die reine anthroposophische Lehre verstößt.“ Hier wird eine Verantwortlichkeit insinuiert, die jeder sachlichen Basis entbehrt. Der Gesetzgeber, verpflichtet alle Schulen unabhängig von ihrer Trägerschaft zu einer Meldepflicht. Für die Durchsetzung der Impfpflicht sind weder die Schulen noch der Bund der Freien Waldorfschulen zuständig, sondern allein das jeweilige Gesundheitsamt. Hier wird mit falschen Argumenten eine allgemeine Opposition zur „anthroposophischen Lehre" konstruiert. Denn selbstverständlich müssen alle Schulen die Gesetzgebung zur Masern-Impfpflicht berücksichtigen und nach aktuellem Kenntnisstand sind Waldorfschulen ihrer Meldepflicht nachgekommen. Mit einer solchen Aussage werden ohne Beleg unbegründet Verdächtigungen konstruiert.
Die Thesen von Dr. Krauss werden im Podcast leider völlig unkritisch übernommen, was auch Fragen an die journalistische Qualität des Podcasts aufwirft. In der aus unserer Sicht bizarren Anhäufung von Halbwahrheiten und falschen Tatsachenbehauptungen entsteht der Eindruck einer regelrechten Hetze gegen eine weltanschauliche Minderheit, wie man sie in dieser Form keineswegs dulden würde, wenn sie etwa religiöse oder ethnische Minderheiten beträfen. Weder die Heinrich-Böll-Stiftung noch die Petra-Kelly-Stiftung hätten etwa zum Thema Islam einem Hendrik Broder das Wort überlassen, weil er sich durch seine bekanntermaßen polemische Haltung zum Islam nicht als seriöser Gesprächspartner empfiehlt. Mit Dr. Krauss jedoch geben Sie jemandem eine Bühne, dessen bisherige Arbeiten explizit nicht die sachliche Kritik, sondern die Intention des totalen Ausschlusses der Anthroposophie aus dem öffentlichen Leben verfolgt.
Das widerspricht für uns in befremdlicher Weise den fundamentalen Werten und Grundsätzen sowohl der Heinrich-Böll-Stiftung als auch der Petra-Kelly-Stiftung, die sich ja für gesellschaftliche Vielfalt und Toleranz einsetzen – Werte übrigens, denen sich ausnahmslos auch die sozialen und therapeutischen Einrichtungen der Anthroposophie verpflichtet fühlen (siehe Leipziger Memorandum).
Der in dem Beitrag von Dr. Krauss implizite Vorwurf, Anthroposophie sei per se staatsfeindlich oder demokratiegefährdend und auf jeden Fall menschenfeindlich, wird am besten durch die über Jahrzehnte hinweg geleistete anthroposophische Praxis im zivilgesellschaftlichen Kontext widerlegt.
Neben dem von Dr. Krauss verbreiteten Zerrbild haben die Angegriffenen selbst leider keine Stimme gefunden, sie sind für ihn allein gefährliche Gegner, die bekämpft werden müssen und denen keine Plattform überlassen werden soll.
Wir bitten Sie: Lassen Sie uns – gerade in dieser polarisierten und gesellschaftlich umkämpften Zeit – keine weiteren Feindbilder aufbauen! Gerne sind wir bereit, auf Fragen und konstruktive Kritik zu antworten, bzw. Ihnen darzustellen was Anthroposophen denken und wie sie heute auf vielen sozialen Praxisfeldern ihren Beitrag zu einer offenen Zivilgesellschaft zu leisten versuchen. Und selbstverständlich stellen wir uns gerne der Kritik und der Frage, wo es in unserer Szene Schwachstellen gibt und wo wir besser werden müssen. Wir sind offen für ein Gespräch und hoffen auf konstruktive Vorschläge von Ihrer Seite.
Für die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland
Mit freundlichen Grüßen,
Monika Elbert Generalsekretärin und Vorstand | Michael Schmock Generalsekretär und Vorstand |
Aktualisiert: 17. Dezember 2022