„Ich wünsche allen viel Mut zu einer werdenden Anthroposophie…“
Angelika Sandtman blickt im Kurzinterview auf Ihre langjährige Vorstandstätigkeit bei der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland zurück.
Sebastian Knust: Nach neun Jahren hast Du Dich nun aus dem Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland als eines der dienstältesten Mitglieder zurückgezogen. Auf welche markanten Ereignisse kannst Du zurückschauen?
Angelika Sandtmann: In den Bereichen, in denen ich mich vor allem engagiert habe, sind es weniger einzelne Ereignisse als längere Entwicklungen, die ich für markant halte. Mit meinem Einstieg in die Vorstandsarbeit übernahm ich sogleich die Verantwortung für die Stiftung zur Forschungsförderung, zunächst zusammen mit Wolf-Ulrich Klünker, später mit Monika Elbert, die zuvor schon lange in der Administration der Stiftung tätig gewesen war. Im Laufe der Jahre gelang es, die Förderung von jungen Menschen, die sich ein Jahr lang einem Forschungsthema widmen möchten, deutlich zu verstärken. Neben der finanziellen Unterstützung durch ein Stipendium haben wir weitere begleitende Angebote ausgebaut, etwa eine Schreibwerkstatt, die Unterstützung von Jungforschertreffen, die Kooperation mit anderen Stiftungen oder in einzelnen Fällen die Ausweitung der Mentorenschaft auf einen Mentorenkreis. Besonders erfreulich ist es, wenn ehemalige Geförderte inzwischen selbst tatkräftig Aufgaben in der Forschungsförderung übernehmen. So wirkt Johanna Hueck seit einigen Jahren im Beraterkreis mit, Fiona Henze hat die Administration der Stiftung übernommen und mit Fabian Warislohner die Schreibwerkstatt ins Leben gerufen und David Richardoz setzt sich für die Jungforschertreffen ein. Ähnlich Erfreuliches lässt sich für die von uns vor mehreren Jahren geschaffenen Assistenzstellen in der Anthroposophischen Gesellschaft beobachten.
Ein weiterer Bereich, mit dem ich stark befasst war, sind die von der AGiD herausgegebenen Zeitschriften. Hier gab es über die Jahre mehrere deutliche Veränderungen. Als ich 2014 in die Vorstandsarbeit einstieg, gehörte ich zusammen mit dem langjährigen Chefredakteur Stephan Stockmar und Lydia Fechner noch dem Redaktionsteam von „dieDrei“ an, die damals von Justus Wittich herausgegeben wurde. Diese Konstellation änderte sich grundlegend, nachdem sowohl Stephan Stockmar als auch Lydia Fechner aus der Redaktion aus freien Stücken ausschieden, um sich anderen Aufgaben zuzuwenden. Ein neues Redaktionsteam um Claudius Weise mit Stephan Eisenhut, Christoph Hueck und Corinna Gleide nahm im Herbst 2015 seine Arbeit auf, ich wechselte von der Redaktions- in die Herausgebertätigkeit. Trafen wir uns anfangs abwechselnd in Stuttgart und Frankfurt Niederursel (dem bisherigen Büro für Redaktion und Geschäftsführung), wurde einige Zeit später das Frankfurter Büro ganz aufgegeben – die Geschäftsführung der mercurial-Publikationsgesellschaft, die alle Zeitschriften der AGiD verlegt, wurde integriert in die Stuttgarter Landesgeschäftsstelle.
Veränderungen gab es auch bei den „Mitteilungen“: mit den Wechseln in der Redaktion veränderte sich jeweils auch das äußere Erscheinungsbild und die Ausrichtung der Zeitschrift. In meiner Anfangszeit lag die Redaktion zunächst noch in den Händen von Andreas Neider, wechselte dann zu Benjamin Kolass und wird seit 2020 von Monika Elbert betreut. Einen Einschnitt gab es vor wenigen Jahren, als wir uns dazu entschlossen, die Mitteilungen zusammen mit der Zeitschrift „Anthroposophie“ zu versenden und dafür die Erscheinungsweise von bisher zehn auf nur vier Ausgaben (und einer Extraausgabe mit u.a. den Rechenschaftsberichten des Vorstands) zu reduzieren und die Zeitschrift zugleich auf das kleinere Format der „Anthroposophie“ anzupassen. Auch bei „dieDrei“ haben wir seit 2021 die Erscheinungsweise geändert: von einem monatlichen auf einen zweimonatlichen Rhythmus. Die positiven Rückmeldungen der Leserinnen und Leser bestätigen uns, mit dieser Entscheidung wohl den Lesegewohnheiten entgegengekommen zu sein. Einzig bei der Quartalsschrift „Anthroposophie“ sind wir beim bewährten Rhythmus geblieben.
Hinsichtlich des Inhalts möchte ich bei „dieDrei“ besonders hervorheben, dass sie sich immer wieder in Sonderheften (vertiefende Artikel zu einem Thema zusätzlich zu den regelmäßig erscheinenden Heften) und Themenheften (Schwerpunkt innerhalb eines Heftes) wichtigen Zeitthemen in vertiefenden Beiträgen stellt, seien es profunde Darstellungen zum „Nationalökonomischen Kurs“ Rudolf Steiners, soziale und wirtschaftliche Gesichtspunkte in Vorbereitung auf den Kongress „Soziale Zukunft“, Fragen an das nach 100 Jahren in der Waldorfpädagogik Erreichte, den „Albtraum 5G“, Fragen der inneren Schulung oder auch so „heiße Eisen“ wie der Rassismus- und Antisemitismus-Vorwurf gegenüber der Anthroposophie. Das letztgenannte Themenheft von 2021 unterstützt mit seinen Beiträgen die kurz zuvor von der AGiD ins Leben gerufene Website www.anthroposophie-gegen-rassismus.de. Weiter erwähnen möchte ich, dass seit 2017 mit dem mehrmals im Jahr in das Heft integrierten „Campyrus“-Beiheft ein Forum für Auszubildende und Studierende in „dieDrei“ eröffnet war. Die redaktionelle Verantwortung für Campyrus lag bei einem Team von Studierenden des „campusA Stuttgart“. Mit den Umstrukturierungen von campusA fand sich leider kein neues Campyrus-Team mehr, so dass die Zusammenarbeit seit 2021 ruht, eine Wiederbelebung von Seiten der DieDrei-Redaktion aber jederzeit willkommen ist.
SK: Worin führt Dich nun Dein weiterer Lebensweg, gibt es neue Perspektiven und Aufgaben?
AS: Mit dem Ausscheiden aus dem Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft gebe ich noch nicht alle Aufgaben ab, mit denen ich bisher verbunden war. So bleibe ich nach wie vor in der Verantwortung der Stiftung zur Forschungsförderung und habe mir vorgenommen, an dem „Wie“ einer möglichst guten Forschungsförderung weiter zu arbeiten. Insgesamt sehe ich meine Zukunft stärker projekt- als institutionsorientiert.
SK: Welche Wünsche möchtest Du dem Vorstand und der gesamten AGiD für die kommende Zeit auf den Weg geben?
AS: Ich wünsche allen viel Mut zu einer werdenden Anthroposophie im Sinne einer Kunst, die Welt heute lesen zu lernen. Ich erlebe in der AGiD oft ein zu starkes Beharren auf dem Gewordenen, sei es mit resignativem Grundton oder im Gegenteil eher rechthaberisch. Dabei hätte gerade die Anthroposophische Gesellschaft gegenüber den verschiedenen Lebensfeldern, die sich in vielen institutionsbedingten Sachzwängen befinden, die größere Freiheit, sich forschend den Fragen der Zeit zuzuwenden.
Wenn nahezu alle Sicherheiten wegbrechen, kommt es entscheidend darauf an, auch lieb gewordene Vorstellungen hinter sich lassen zu können und unbefangen offen zu sein für Neues. Ein gutes Übfeld dafür bot die gerade stattgefundene Tagung und Mitgliederversammlung in Kassel insbesondere mit ihren eindrücklichen künstlerischen Gestaltungen! Mein Wunsch ist, dass möglichst viele etwas von diesem Erlebnisraum in die kommende Zeit mitnehmen.
SK: Vielen Dank für Deine Antworten und alles Gute für die weiteren Schritte!