Generationenwechsel im Buchhandel
Benjamin Wagner hat als Unternehmer die traditionsreiche anthroposophische Buchhandlung Engel in Stuttgart übernommen. Aktuell scheinen Bücher wieder auf mehr Resonanz zu stoßen. Was veranlasste den Unternehmer aus Tübingen zu diesem Schritt? Im Interview schildert er seine Perspektiven und Ideen für die Zukunft.
Matthias Niedermann: Wie kam es zu der Übernahme der Buchhandlung? Welche Herausforderungen sind damit verbunden?
Benjamin Wagner: Nun, die Familie Engel hatte in ihrem Versandkatalog einen Nachfolger gesucht. Ein Kunde von mir hat das gelesen und halb im Scherz gesagt: „Na, das wäre doch was für Sie ...“ Zunächst dachte ich, dass das ein wenig vermessen sein könnte – dann habe ich ein zweites Mal nachgedacht.
Nach ausführlichen Gesprächen und einem längeren Prozess konnten wir uns auf die Übernahme einigen.
Die Herausforderungen bestanden zunächst darin, all die bürokratischen und vertraglichen Hürden zu meistern. Dies ist weitgehend abgeschlossen. Nun geht es daran, bestimmte interne Abläufe in der Buchhandlung zu modernisieren.
MN: Welche unternehmerischen Herausforderungen bringt aus Ihrer Sicht der Generationenwechsel in der anthroposophischen Landschaft mit sich?
BW: Die größte unternehmerische Herausforderung mit Bezug auf den Generationenwechsel in der anthroposophischen Landschaft dürfte nach meiner Einschätzung sein, einerseits den Anforderungen, die unsere Zeit an ein modernes Unternehmen stellt, gerecht zu werden, aber andererseits den Kern des Unternehmens nicht zu verlieren. Die Buchhandlung Engel hat eine lange Tradition und schon viele Veränderungen erlebt. Ohne eine innere Identität hätte sie das bestimmt nicht überstanden. Diese Problematik bildet sich ja auch in den anthroposophischen Institutionen selbst ab: Einerseits kann und soll die Geisteswissenschaft Antworten auf Zeit- und Lebensfragen geben, aber ohne sich andererseits dabei dem Zeitgeist zu unterwerfen. Die Unternehmen im Dunstkreis der Anthroposophie sind vor genau diese Herausforderung gestellt.
MN: Warum brauchen wir in einer digitalen Zeit weiterhin Bücher? Welche Erfahrungen haben Sie damit in Tübingen gemacht?
BW: Erstaunlicherweise haben die Prozesse der Digitalisierung das Buch nicht verschwinden lassen. Gleichwohl ist es schon so, dass der Absatz an gedruckten Büchern kontinuierlich sinkt. Das zwingt alle Teilnehmer der Wertschöpfungskette „Buch“, ihre Prozesse genau zu überprüfen.
Das Buch wird aber gerade dann, wenn es um komplexe und tiefgreifende Inhalte geht, als ein „langsames“ Medium bestehen bleiben. Das sieht man schon allein daran, dass der Markt an elektronischen Büchern seit Jahren stagniert und all die hochtrabenden Erwartungen nicht erfüllen konnte.
Schließlich spielt beim Buch die Haptik eine große Rolle. Man will etwas in Händen halten, da die Sache dann „verbindlicher“ ist. Für den Autor ist es – nach dem gesprochenen Wort – die direkteste und nachhaltigste Form der Kommunikation.
MN: Was haben Sie in Zukunft konkret mit der Buchhandlung Engel vor?
BW: Die Buchhandlung Engel soll weiterhin als Fachbuchhandlung für Anthroposophie und gute Literatur unter diesem Namen bestehen bleiben. Auch der Versandkatalog und das umfangreiche Antiquariat werden selbstverständlich beibehalten. Im Frühjahr werde ich mein Tübinger Geschäft in die GmbH einbringen, sodass eine gemeinsame Firma mit zwei unterschiedlich profilierten Läden entsteht. Wir möchten in Stuttgart und darüber hinaus der erste Ansprechpartner für anthroposophische Literatur sein, der auch Publikationen der kleinen Verlage im Sortiment führt.
Da ich mich dem Gedanken der „sozialen Dreigliederung“ verpflichtet fühle, könnte längerfristig auch ein Unternehmen in „Verantwortungseigentum“ entstehen. Eine Buchhandlung ist ja in gewisser Weise die Schnittstelle zwischen Wirtschafts- und Kulturleben. Wenn beides gut zusammenspielt, ist die Aufgabe sehr reizvoll. Aber wie jede unternehmerische Initiative ist auch diese auf die Zukunft gerichtet. Hier kann man sich zwar vieles vorstellen, was am Ende aber vielleicht ganz anders kommt. Der entscheidende Faktor für den Erfolg ist der unternehmerische Wille und die Einsicht in die Notwendigkeit der Sache. Dann wird die Resonanz bei den Kundinnen und Kunden das erforderliche Maß erreichen.
MN: Vielen Dank!