Weihnachtsgeschenke
Am ersten Advent saßen mein Mann und ich mit unseren erwachsenen Kindern und deren Freunden an unserem Küchentisch. Die erste Kerze am Adventskranz brannte. In dem für die Enkelkinder hergerichtete Advents-Moosgärtlein standen schon der Verkündigungsengel und Maria. In unserer gemütlichen Runde kam die Frage nach den Weihnachtswünschen auf. Der eine hatte einen Wunsch, der nächste wollte darüber nachdenken und der dritte hatte keinen Wunsch.
Eine Freundin des Hauses erzählte, dass sie seit ihrem 16. Lebensjahr keine Wünsche mehr äußern würde. In ihrer Familie gebe man Geschenke statt liebevoller Zuwendung und das wolle sie nicht! Dieser Gesichtspunkt machte mich sehr nachdenklich. Ich überlegte, was ich für Schenk-Motive kenne.
Da gibt es das Schenken, um zu schenken. Häufig sind das mehr oder weniger sinnfreie Geschenke. Sie können hübsch sein, aber unter Umständen ist es sinnloser Tand. Dann gibt es die Kategorie, „der Beschenkte soll genau das bekommen, was er sich wünscht“. D.h. der Schenker bekommt z.B. einen Link für einen Wunsch und kann das Richtige bestellen. Auch der Geschenkgutschein ist wohl etwas in dieser Richtung. Das Schenken wird zur äußeren Form. Oder, man möchte durch das Schenken zeigen, wie großzügig man ist und versucht, möglichst große und prächtige Präsente zu finden. Oder die Großeltern-Konkurrenz: Wer macht das Rennen für das beste Geschenk beim langersehnten Enkelkind? Oder man geht einfach gerne Shoppen und Weihnachten ist ein willkommener Anlass, dieser Freude nach Herzenslust folgen zu können. Bestimmte Erwartungen im Umfeld sind auch kein seltenes Motiv.
Bei der Betrachtung dieser unterschiedlichen Möglichkeiten des Schenkens wurde mir zunehmend unwohl. Wofür ist das Schenken wichtig? Ist es vielleicht in unserer Überflussgesellschaft gar nicht mehr wichtig zu schenken? Müsste man vielleicht nicht im eigenen Umfeld schenken, sondern dort, wo Mangel herrscht? Hat ein Geschenk etwas mit einem Bedarf zu tun oder geht es um etwas ganz anderes? Soweit in meinen Überlegungen gekommen fragte ich mich, was denn wohl das ideale Geschenk sei.
Eine mittlerweile verstorbene Freundin von mir hatte die Gabe, immer die richtigen Geschenke zu finden, d.h. sie traf eine Stelle im Anderen, die als genau passend erlebt wurde; der Beschenkte fühlte sich gesehen und verstanden. Sie gilt bis heute als die beste Schenkerin in unserer Familie. Was war ihr Geheimnis? Sie hatte selbst keine Familie. Sie hatte einen sympathiegetragenen Blick von außen. Sie konnte zuhören, sie konnte hinschauen, sie fand heraus, was der zu Beschenkende brauchen könnte. Sie nahm sich Zeit. Wenn sie im Sommer eine Geschenkidee hatte, wurde diese notiert und zu Weihnachten in die Tat umgesetzt. Ihre Geschenke waren immer für den anderen, hatten aber auch mit ihr und ihren Möglichkeiten zu tun. Mir ist heute klar, dass diese Art der Zuwendung eine wirkliche Kunst ist! Man muss sich in die Schuhe des anderen stellen können, ohne sich selber dabei zu verlieren.
Im Moment studiere ich auf unserem Hof das Oberuferer Christgeburtsspiel ein. Die Anbetung des Kindes durch die Hirten und die Überbringung ihrer Geschenke sind der Höhepunkt des Spieles. Aber auch der Weg dorthin gehört dazu: Die Hirten versammeln sich auf der Weide, um ihre Schafe zu hüten. Während ihrer Begegnung besprechen sie, was in der Welt vor sich geht. Sie wissen zu berichten, dass ein besonderer König geboren werden soll. Ein König, der der Menschheit Heilung und Frieden bringt. Wann dieses Ereignis sein soll, wisse man zwar nicht, aber dass es in Bethlehem stattfinden wird, sei bekannt. Die Hirten legen sich zur Ruhe. Im Schlaf erscheint ihnen ein Engel, der ihnen verkündet, dass der prophezeite König geboren wurde und sie sich auf den Weg machen sollen, um ihn zu begrüßen. Sie machen sich auf den Weg und nehmen jeder ein Geschenk mit. Sie laufen nicht in den nächsten Laden, um etwas zu kaufen. Sie stellen auch nicht die Frage, was wohl das prächtigste, teuerste oder auffälligste Geschenk sein könnte. Sie nehmen ein Geschenk mit, das aus ihrem Leben kommt, das durch ihre Fähigkeiten entstanden ist. Sie schenken ein Lamm aus ihrer Herde, Wolle und Milch von ihren Schafen, ein wenig Mehl ihres Getreides, ein Stück vom eigenen Pelzwerk. Keiner dieser Hirten erwartet eine Gegengabe, Lob oder Dank. Sie schenken, weil sie dem Neuen Achtung und Ehrerbietung entgegenbringen und diesem den Weg auf die Erde mit ihren Möglichkeiten ein wenig erleichtern wollen.
Etwas Neues möchte in jedem von uns geboren werden. Es ist eine große Kunst, diese Entwicklungskeime in unseren Mitmenschen wahrzunehmen und würdigen zu lernen. Mir scheint, dass es um diese Geste beim Schenken gehen könnte. In diesem Jahr werden sich die Erwachsenen unserer Familie zusammentun, um ein Geschenk für jedes Familienmitglied zu finden. Es gibt also sieben Schenkgruppen, die sich jeweils mit einem Familienmitglied beschäftigen. Wir sind noch nicht bei den stimmigen Geschenken der Hirten angekommen, aber wir haben uns immerhin auf den Weg gemacht. Wer weiß, vielleicht werden wir eines Tages soweit sein, den König in unseren Mitmenschen erkennen zu können.
Christine Rüter | AGiD, Vorstandsmitglied